Die Angst des wei�en Mannes
Teheran an die Armenier geliefert wurden.
Das »Große Spiel« um die Ausbeutung des Erdöls von Man gyschlak ist in vollem Gange. Der Armenier versucht, mich in ein endloses Gespräch über den gefallenen Petroleumpreis und die ne gativen Folgen dieser Baisse für die ehrgeizigen Pläne des Präsi denten Nasarbajew zu verwickeln. Erst die Einführung der neuen Nationalwährung Tenge habe ein wenig Stabilität gebracht. Ich verweise Peruskian darauf, daß die Verhältnisse in Kasachstan – verglichen mit den Zuständen an der kaukasischen Gegenküste des Kaspischen Meers – geradezu idyllisch wirken.
Dort hat eben noch ein Waffengang zwischen Georgien und Rußland um die neu gegründete Mini-Republik Südossetien statt gefunden. In Tschetschenien gibt sich der dortige Machthaber Ka dyrow als zuverlässiger Verbündeter Moskaus, steht jedoch im Be griff, seine Autonome Republik von Grosny, die nominell in der Russischen Föderation verbleibt, in eine islamische Republik sui ge neris zu verwandeln.
Im winzigen Inguschetien, gleich nebenan, gehen täglich Bom ben hoch, und mit bösen Ahnungen blickt Wladimir Putin auf das Territorium von Dagestan, wo das Zarenreich im neunzehnten Jahrhundert dreißig Jahre lang Krieg geführt hatte, um den isla misch inspirierten Aufstand des Imam Schamil niederzukämpfen. Dort spürt man bereits ein gefährliches Brodeln. Diese Zone ist mir mindestens ebenso vertraut wie dem geschwätzigen Armenier, des sen kommerzielle Interessen sich vermutlich innerhalb des Drei ecks Eriwan, Washington, Tel Aviv und Moskau bewegen.
Inzwischen sind die internationalen Ölgiganten damit beschäf tigt,sich im Umkreis von Aktau den Rang abzulaufen. Am schnellsten haben natürlich die amerikanischen Multis agiert, aber auch der Kreml verfügt noch über erhebliche Druckmittel, und diverse europäische Gesellschaften versuchen, bescheidenere »Claims« abzustecken. Mit wachsendem Argwohn blicken sie alle auf das systematische Vordrängen der staatlichen Energiekonzerne der Volksrepublik China.
Mindestens ebenso verworren mutet der Wettstreit um den Bau und den Verlauf der Pipelines an, versuchen die USA doch mit allen Mit teln und beachtlichem Erfolg das »schwarze Gold« des kaspischen Raums unter Umgehung russischen Territoriums durch Georgien und die Türkei an den Mittelmeerhafen Ceyhan zu pumpen. Die Re gierung von Ankara verschafft sich zusätzliche Trümpfe durch eine Leitung namens »Nabucco«, die über den Balkan verlaufen würde.
Die Russen fordern ihrerseits die präferentielle Nutzung ihrer traditionellen Durchgangsstation Noworossijsk an der Mündung des Don, während in aller Diskretion chinesische Arbeitskolonnen in Rekordzeit ihre Rohre verlegen, um eine Verbindung zu ihrem eigenen Versorgungssystem in Xinjiang herzustellen. Dieses ganze Gewirr von Leitungen, Zulieferanlagen und Pipelines verdichtet sich allmählich zu einem gordischen Knoten, aber kein Alexander ist in Sicht, der befähigt wäre, ihn mit einem Hieb zu durchtrennen.
Ich bin froh, als der Armenier sich verabschiedet und ich beim »Sundowner« meinen eigenen Gedanken nachhängen kann. An diesem äußersten Vorposten der Halbinsel Mangyschlak stellt sich nämlich die Frage, wo Asien aufhört und wo Europa beginnt. Mir klingt noch der Ausruf General de Gaulles in den Ohren, der 1964 bei seinem Staatsbesuch in der Sowjetunion einen Toast auf die Ein heit Europas ausgebracht hatte, auf »l’Europe de l’Atlantique à l’Oural«, eine Formulierung, die die deutschen Diplomaten ver wundert aufhorchen ließ.
Wer bei klarer Sicht den endlosen Höhenzug des Ural, der sich in sanften Wellen von Nord nach Süd dahinzieht, aus der Höhe des Flugzeugs gemustert hat, kann ihn schwerlich als scharfe Trennungslinie zwischen den Kontinenten identifizieren, ebensowenig wieden bescheidenen Fluß Ural, der sich bei Guryew in den nördlichen Teil des Kaspischen Meeres ergießt. An dieser Stelle greift sogar die überwiegend asiatisch-islamische Republik Kasachstan auf ein Territorium über, das den Ausmaßen Bayerns entspricht und – rein geographisch – Europa zugerechnet werden müßte. In Aktau ist man von der Mündung der Wolga und dem Hafen Astrakhan nicht sonderlich weit entfernt.
Mir kommt flüchtig der Gedanke an einen entfernten Verwand ten, der als sogenannter »Goldfasan« im Dritten Reich Karriere ge macht hatte und auf dem Höhepunkt des Hitlerschen Größen wahns meinem Vater stolz verkündet hatte, er sei bereits
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