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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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seine Fraktion, »Ak-Zhol«, das heißt »Heller Pfad«, über sämtliche Abgeordnetensitze verfügte.
    Seinen amerikanischen Gönnern spielte er einen üblen Streich, in dem er ihnen plötzlich die Nutzung des Luftwaffenstützpunktes Manas am Rande der Hauptstadt Bischkek entzog. Hinter dieser Geste patriotischer Auflehnung wurde der Einfluß Moskaus vermu tet, wo man der US-Präsenz einen Riegel vorschieben wollte. In Wirklichkeit ging es Bakijew vermutlich um die Aufbesserung sei nes Budgets, denn wenig später fand er sich zu einem Kompromiß mit dem Pentagon bereit; die Pachtgebühren für Manas, das nun mehr offiziell zum »Transit Center« herabgestuft wurde, wurden schlicht und einfach verdreifacht. Die Masse der kirgisischen Bevöl kerung, die in Ermangelung einträglicher Rohstoffvorkommen in Armut lebt, dürfte davon jedoch nur in geringem Maße profitieren.
    In diesem rauhen Gebirgsland, von dem die meisten Europäer nicht einmal den Namen kennen, kam es nunmehr zu einer selt samen militärischen Koexistenz zwischen den beiden ehemaligen Supermächten. Die Russen verfügten nämlich ihrerseits – etwa vierzig Kilometer von Bischkek entfernt – über die Basis »Kant« und standen im Begriff, im äußersten Süden, am Rande des turbu lenten Fergana-Beckens, einen zusätzlichen Stützpunkt für ihre Streitkräfte einzurichten.
    Die Präsenz von islamistischen Partisanen im Rascht-Tal, das Kirgistan und Tadschikistan verbindet, das bedrohliche Auftauchen eines Kommandeurs des Heiligen Krieges, des Mullah Abdullah, derlängs der Nordgrenze Afghanistans ein Sammelsurium von Usbeken, Kirgisen, Tadschiken und auch Arabern für eine neue Phase gewaltsamer Auflehnung zusammentrommelt, läßt bei den regierenden Despoten der GUS-Republiken Befürchtungen um die Stabilität ihrer Länder und das Überleben ihrer autokratischen Regime aufkommen.
    Francis richtet seinen Zeigestock auf das Rascht-Tal. »Hier ver geht kein Tag ohne blutige Zwischenfälle«, kommentiert er, »und vielleicht haben Amerikaner und Russen endlich begriffen, daß es töricht und zutiefst schädlich für die eigenen vitalen Interessen wäre, wenn sie ihre Querelen um den Besitz von Erdöl und Erdgas auf die Spitze trieben.«
    »Werfen Sie einen Blick auf die deutschen Positionen in Afgha nistan und vor allem auf Kundus, wo die Bundeswehr offenbar in Bedrängnis gerät«, wendet er sich an mich. »Einer Ihrer Verteidi gungsminister hat doch einmal erklärt, Deutschland würde am Hindukusch verteidigt. Offenbar hat dieser Mann nie einen Blick auf die Landkarte Asiens geworfen. Nicht Deutschland, sondern Rußland, dessen Sicherheitsvorfeld bis zum Amu Daria reicht, wäre durch die Machtergreifung der Taleban oder anderer islamischer Extremisten in Kabul unmittelbar bedroht. Ein ausufernder Jihad Richtung Norden könnte sich, wenn wir unsere Phantasie spielen lassen, wie ein Flächenbrand bis zum Ural, ja bis zur Wolga fort pflanzen, von der Situation am Kaukasus, wo ein schleichender Bür gerkrieg bereits im Gange ist, ganz zu schweigen.«
    Von Anfang an, so fügt Francis mit bemerkenswerter Offenheit hinzu, habe er sich gewundert, aus welchen Gründen Barack Obama das strategische Schwergewicht Amerikas aus dem Irak nach Afgha nistan verlagern und die dortige Truppenpräsenz massiv verstärken wolle. Noch schwerer sei die Einrichtung eines AFPAK-Komman dos unter Richard Holbrooke zu erklären, das die Gefahr heraufbe schwöre, die unberechenbare Masse von 170 Millionen Pakistani, deren Armee zudem über die bislang einzige islamische Atom bombe verfügt, in diesen aussichtslosen Feldzug »Enduring Free dom« einzubeziehen.
    »Wannwird man in Washington begreifen, daß Afghanistan – ›landlocked‹ und in sich selbst verkapselt – allenfalls ein Nebenkriegsschauplatz ist? Wann wird man in Langley zu der Erkennt nis gelangen, daß die Tragödie von Nine Eleven kein afghanisches, sondern ein überwiegend saudisches Unternehmen war, auch wenn Osama bin Laden sich zu diesem Zeitpunkt in irgendeiner Fels höhle des Hindukusch aufhielt?«
    Ich muß an einen Kommentar der International Herald Tribune denken, wo man das sich steigernde Engagement Barack Obamas in Afghanistan mit dem vietnamesischen »quagmire« verglich, in dem Lyndon B. Johnson gescheitert war. Auch in Vietnam hatte die Strategie des General Westmoreland zwischen den beiden unver einbaren Alternativen der »counter-insurgency« geschwankt, zwi schen »search and destroy« und

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