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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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hatte Carlos Belo den Christen seiner Heimat wirksamen Schutz gewährt. Die geist liche Würde des Friedensnobelpreisträgers versetzte ihn in die Lage, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diesen ver lorenen Sprengel Petri zu lenken und in seiner Kathedrale den ver folgten Gläubigen ein Refugium zu bieten.
    Sehr viel aufschlußreicher als das protokollarische Treffen mit Carlos Belo war meine Diskussion mit dem portugiesischen Pater Felipe, vermutlich ein Jesuit, den der Vatikan dem geistlichen Hir ten von Timor als Ratgeber zur Seite gestellt hatte. Der Pater nahm kein Blatt vor den Mund. Er übte scharfe Kritik an der miserablen Missionsarbeit der portugiesischen Kolonialherren, die zwar Kon takte zu den Stammeshäuptlingen hielten, die Masse der einfältigen »Indigenes« jedoch in ihrem heidnischen Aberglauben beließen. Als die Sachwalter des »Estado Novo« im Jahr 1975 die Insel flucht artig verließen, waren lediglich dreißig Prozent der Ost- Timoresen zum Glauben der römischen Kirche bekehrt.
    Die indonesische Administration praktizierte pro forma eine bemerkenswerte religiöse Toleranz, die schon der Staatsgründer Sukarno mit seinen Thesen der »Pancasila« vorgegeben hatte. Die javanischen Militärs hatten Bischof Belo, den sie vergeblich zu ma nipulieren suchten, erhebliche Zugeständnisse gemacht. Sie hatten sogar den Bau der Kathedrale von Dili und die Errichtung der ge waltigen Christus-Statue am Cap Fatucuma finanziert.
    Doch diese Bemühungen, hearts and minds der eroberten Provinz zu gewinnen, fielen auf unfruchtbaren Boden, zumal zur gleichen Zeit jedes politische Aufbegehren gnadenlos unterdrückt wurde. Die indonesischen Behörden verlangten von jedem Ost-Timoresen, daß er seine Religionszugehörigkeit deklariere. Offiziell geduldetneben dem alles beherrschenden Islam waren die katholische und diverse protestantische Konfessionen sowie Hinduismus und Buddhismus. Wer jedoch keine anerkannte Glaubenszugehörigkeit angeben konnte, geriet in den Verdacht, ein gottloser Kommunist und an staatsfeindlichen Unternehmen beteiligt zu sein.
    Was den Dominikaner- und Franziskanermönchen Lusitaniens in vier Jahrhunderten nicht gelungen war, das vollbrachte der in donesische Diktator Suharto binnen weniger Monate. Die Ost-Timoresen, die sich dem Islam hartnäckig, ja militant verweigerten, bekehrten sich jetzt massiv zum Christentum, ließen sich taufen und als Katholiken registrieren. Von dreißig Prozent schnellte ihre Gemeinde auf sensationelle 95 Prozent.
    Dabei handelte es sich durchaus nicht nur um opportunistische Anpassung oder oberflächliche Konversion. Der Heilige Geist muß in den Jahren der indonesischen Fremdherrschaft seine Gnade über die neuen Täuflinge ergossen haben, so meinte Pater Felipe lächelnd. Der »creator spiritus« sei mit wundersamer Wirkung in Erscheinung getreten, auch wenn nicht alle düsteren Mythen heid nischer Ignoranz durch seine Erleuchtung verdrängt wurden.
    Der Berater des Bischofs war selbst verwundert, wie gründlich der Glaube Christi, vor allem die Verehrung der Jungfrau Maria, die im portugiesischen Bereich stets mit der Madonnenerscheinung von Fatima verknüpft ist, bei den Neophyten Wurzeln schlug. Der Ka tholizismus eignete sich offenbar nicht nur zur demonstrativen Ablehnung der halboffiziellen Staatsreligion des Islam. Die Kirche Petri wurde zum Sammel-, zum Kristallisationspunkt des ost-timo resischen Nationalismus, ja sie verlieh dem bewaffneten Wider stand einen geistlichen Impuls. Dieses Mal seien es die Christen und nicht die Muslime gewesen, die sich bereit fanden, einen »Hei ligen Krieg«, zumindest einen »bellum justum« auszurufen und sich mit der Waffe in der Hand aufzulehnen.
    Pater Felipe stellte die nachdenkliche, kritische Frage, ob die Päpste der letzten Jahrzehnte nicht einem fatalen Irrtum erlegen seien, als sie der Befreiungstheologie, die dem Massenaufstand der Armen und Entrechteten vor allem in Lateinamerika eine religiöse Rechtfertigung,ja eine göttliche Weihe verliehen habe, den Rücken kehrten und in ihrer Furcht vor der Ausbreitung des Kommunismus die skandalöse Arroganz der feudalen Oberschicht gefördert und ihr sogar Argumente für die Verweigerung jeder Form sozialer Erneuerung geliefert hätten.
    Statt die katholischen Gläubigen zwischen Rio Grande und Feu erland mit engherzigen und realitätsfernen Ermahnungen zur Keuschheit und Monogamie zu bedrängen, hätte die römische Ku rie wohl besser daran getan,

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