Die Angst des wei�en Mannes
Unabhängigkeits-Referendum von 1999 entgangen waren, fielen nunmehr der kom pletten Zerstörung anheim. Die grausamen Instinkte der Kopf jäger schienen wieder aufzuleben. Unzählige Zivilisten flüchteten in den Busch.
Der Rebell Reinado, der bei seinen Stammesbrüdern vor allem im westlichen Teil von Timor-Leste mindestens ebenso populär war wie Xanana Guzmão, zog sich vor dem Zugriff anrückender UNO-Truppen in die ihm vertrauten Gebirgsverstecke zurück. Den australischen Spezial-Commandos, die ihn vorübergehend festgesetzthatten, entkam er mit fünfzig Gefolgsleuten auf mysteriöse Weise. Der zuständige Gefängnisdirektor, der wohl zuviel wußte, wurde wenige Tage nach diesem Ausbruch vergiftet vorgefunden.
Bei weiten Teilen der Bevölkerung, denen die Staatsgründung bisher nur Anarchie und Armut gebracht hatte, gewann Reinado Sympathie und Unterstützung, als er sich gegen die Privilegien der regierenden Kaste von Parteifunktionären, gegen die Korruption der Parlamentarier auflehnte und als Anwalt der Entrechteten, als südostasiatischer »Robin Hood« auftrat.
Die Beschuldigung Guzmãos, Reinado habe die Ermordung José Ramos-Hortas sowie den Beschuß seines eigenen Fahrzeugs ange stiftet und sich durch Mord an die Macht putschen wollen, brach in sich zusammen, als unabhängig operierende portugiesische Ermitt ler feststellten, daß der Staatschef Horta und der Rebell Reinado keineswegs unversöhnlich verfeindet waren, sondern gemeinsam nach einem Ausgleich und einer Besänftigung der verfeindeten Fraktionen suchten.
Alfredo Reinado, so wurde bekannt, hatte am Abend vor dem Überfall mit José Ramos-Horta getafelt und im Zustand starker Alkoholisierung im Haus des Präsidenten übernachtet. Am folgen den Morgen wurde er eine halbe Stunde, bevor die Schüsse auf den joggenden Staatschef abgefeuert wurden, durch drei Kugeln in den Kopf regelrecht exekutiert.
Die Beziehungen zwischen Horta und Guzmão hingegen, so wird in Dili kolportiert, seien zu diesem Zeitpunkt aufs Äußerste ange spannt gewesen. Letzterer hatte sich einer neutralen Untersuchung der Hintergründe des Petisionista-Aufruhrs widersetzt, während Reinado eine solche Überprüfung forderte. Mit unerklärlicher Ver spätung wurde der schwerverletzte Horta doch noch nach Austra lien ausgeflogen, wo er durch Bluttransfusion und operative Ein griffe im renommierten Royal Hospital von Darwin erstaunlich schnell wieder zu Kräften kam. Welche Gefühle er empfand, als der zwielichtige Regierungschef Guzmão an sein Krankenbett eilte, ein Blumenbukett überreichte und ihn umarmte, hat niemand erfahren.
InDili fand unterdessen ein seltsames Spektakel statt. Die Leiche des angeblichen Hochverräters Reinado wurde unter Wehklagen einer tausendköpfigen Trauergemeinde auf dem Friedhof Santa Cruz beigesetzt. Sein Sarg war in die Nationalflagge gehüllt. Der katholische Klerus, der sich jeden Kommentars zu den bizarren Vorgängen enthalten hatte, erteilte dem toten Aufrührer den letz ten Segen.
Kurz danach wurde mit gebotener Vorsicht eine Video-Aufzeich nung unter das Volk gebracht, auf der Reinado sich wenige Stunden vor seiner Hinrichtung mit der ihm eigenen rhetorischen Begabung gegen die erdrückende Einflußnahme des Auslands – gemeint wa ren die Australier und deren amerikanische Verbündete – auflehnte. Er prangerte die Ausbeutung der timoresischen Erdöl- und Erdgas-Reichtümer durch das fremde Kapital an. Er selbst – wie auch der Oberbefehlshaber General Taur Matan Ruak – sei schon 2004 durch Geheimagenten diverser angelsächsischer Länder zum Putsch ge gen den damaligen Regierungschef Mari Alkatiri aufgestachelt wor den.
In Canberra und Washington stand der zu jenem Zeitpunkt am tierende Ministerpräsident Alkatiri im Verdacht, die erdrückende Militär- und Wirtschaftspräsenz Australiens durch Anlehnung an die Volksrepublik China zu kompensieren und auszubalancieren. An jenem tragischen Februartag 2008 stellten die Timoresen mit Verwunderung fest, daß knapp drei Stunden nach dem angeblichen Umsturzversuch Reinados australische Spezial-Commandos, als hätten sie bereits auf dem Sprung gestanden, in Dili eintrafen.
Wie soll ein Ortsfremder dieses Ränkespiel durchschauen, wenn schon die Einheimischen sich in widersprüchlichen Verdächtigungen und Beschuldigungen verfangen? Welche politischen Wirren der Republik Ost-Timor noch bevorstehen, kann kein Gast unserer Geburtstagsrunde voraussagen. Aus den letzten
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