Die Angst des wei�en Mannes
die Revolte gegen die Ausbeutung durch die Reichen und Mächtigen zu dulden und zu ermutigen. Damit wäre vermutlich auch der wachsenden Hinwendung so vie ler lateinamerikanischer Katholiken zu den amerikanischen Sek ten, ihrer Abkehr von den Edikten des Vatikans, dem Abgleiten in die bizarren Rituale der Evangelikalen aus den USA ein Riegel vor geschoben worden.
Ein anderer schwerer Fehler des Konzils Vatikan II habe darin bestanden, die überlieferte Liturgie ihres triumphalen Glanzes, ihres prachtvollen Zeremoniells zu berauben, die den Elenden und Darbenden schon in diesem Tal der Tränen den Ausblick auf die Herrlichkeit des Paradieses vermittelt hätte. Auf Timor-Leste habe sich jedenfalls erwiesen, daß der sozialrevolutionäre Aufstand christ licher Guerrilleros sehr wohl der Mehrung und Vertiefung des christlichen Glaubens dienen könne. Statt dessen habe Rom das streitbare Eintreten für die göttliche Offenbarung den Mudjahidin des Propheten Mohammed überlassen.
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In unserer Tafelrunde von Areia Branca erwähne ich meinen Besuch bei Monsignore Belo, aber hüte mich, das Gespräch mit Pater Felipe wiederzugeben. Als Geburtstagsgeschenk wird mir eine Baseballkappe mit dem schwarz-roten Wappen Timor-Lestes sowie ein »Tais«-Schal in den Landesfarben überreicht. Man solle den Bischof Belo nicht unterschätzen, wendet ein lokaler Politiker ein. Als die Indonesier die Christus-Statue über der Bucht aufrich teten,hatte General Suharto angeordnet, daß sie genau 27 Meter hoch ragen solle. Jeder Meter würde eine Provinz Indonesiens symbolisieren inklusive der zusätzlichen 27. Verwaltungseinheit von Dili. Der stille, schmächtige Prälat habe sich strikt geweigert, diese politische Anspielung zu akzeptieren, und er habe davon Abstand genommen, das Standbild seines Erlösers zu segnen.
Als Papst Johannes Paul II. im Jahr 1989 in Dili Station machte, hatte er sich weniger restriktiv verhalten. Ihm ging es darum, der Gemeinde von sechs bis sieben Millionen Katholiken, die über ganz Indonesien verstreut leben, das staatliche Wohlwollen Jakartas zu sichern. Zu jenem Zeitpunkt rechnete ja niemand damit, daß Wa shington und Canberra ein paar Jahre später so plötzlich das Steuer herumwerfen und die Forderung der timoresischen Separatisten unterstützen würden.
»Wir sind zum Spielball der Mächte geworden«, beschwert sich mein Tischnachbar Eduardo, »und wir sind zu stolz, um die Vasal lenrolle eines ›ostasiatischen Kuwait‹ zu spielen.« Im übrigen seien die Australier sich der allgemeinen Mißstimmung wohl nicht be wußt. Bisher sei es nur zu Scharmützeln zwischen den Blauhelmen der UNO und abenteuernden Rebellen gekommen. Canberra solle sich hüten, sich kriegerisch mit seinen unmittelbaren Nachbarn an zulegen. Gewiß handele es sich bei den einheimischen Banden mehrheitlich um Kriminelle, aber es wäre ja nicht das erste Mal, daß Ganoven sich in heroische Patrioten verwandelten.
Das grandiose Farbenspiel des tropischen Sonnenuntergangs beeindruckt mich immer wieder, wie auch der »mirage doré« des abendlichen Ozeans, aus dessen Tiefe José-María de Heredia in sei ner Huldigung an die Conquistadores die verheißungsvollen Stern bilder der Neuen Welt aufsteigen sah. Besinnlichkeit stellt sich ein, während wir auf das Ruinenfeld von Dili zusteuern. Inmitten der Trümmer entdecke ich die schneeweiße Marmor- oder Gipsfigur unserer Lieben Frau von Fatima. Zu ihren Füßen knien die drei portugiesischen Hirtenkinder, denen die Madonna – der Legende zufolge – drei Geheimnisse anvertraute. Nur dem Heiligen Vater dürfen sie enthüllt werden.
EineVoraussage betraf angeblich die Errettung Rußlands aus den Satansklauen des Kommunismus, und diese Prophezeiung hat sich bereits bewahrheitet, wie ich bei meinen jüngsten Reisen zwischen Moskau und Wladiwostok feststellen konnte, wenn diese Rückbe sinnung auf das christliche Erbe der Kiewer Rus auch mit groß-rus sischem Chauvinismus und byzantinischer Erstarrung einhergeht.
Auf dem Höhepunkt der portugiesischen Nelkenrevolution hatte ich 1975 die Wallfahrtsstätte von Fatima aufgesucht. Ich war nicht als Pilger gekommen. Die Profitgier der Devotionalienhändler und der himmelblaue oder rosarote Kitsch sulpizianischer Heiligen bilder sind mir zuwider. Dennoch war es ein zutiefst eindrucksvol les, archaisches Spektakel, als eine Prozession von Büßern, auf dem Bauch kriechend, sich dem Heiligtum mühsam näherte, darunter mehrere Soldaten in
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