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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Parlamentswahlen ging die FRETILIN, deren Generalsekretär Alkatiri ständigen Morddrohungen und tätlichen Übergriffen gegen seine Familie ausgesetzt ist, als stärkste Fraktion hervor. Vier Splitterparteien taten sich jedoch zusammen, um dem früheren Semina ristenGuzmão zum Amt des Regierungschefs zu verhelfen. Ein lähmendes Proporzsystem erlaubt die absurdesten politischen Kombinationen. Jede Partei, die die Drei-Prozent-Hürde überwindet, kann Abgeordnete in die Kammer entsenden. Deren Bestechlichkeit kennt keine Grenzen.
    Auf die Australier ist niemand mehr gut zu sprechen, und das wird auch in unserer Tafelrunde deutlich. Die Absicht der UNO-Verwaltung, weite Anbauflächen von Mais und Getreide in Plan tagen von Kokospalmen oder Zuckerrohr zu verwandeln, um Grundstoff für »Biofuel« zu gewinnen, stößt auf Empörung. Die Einschränkung der Lebensmittelproduktion zugunsten der Schaf fung von vegetalem Benzinersatz vollzöge sich auf Kosten der dar benden Bevölkerung. Der ökologische Wahn diene wohl auch hier als Vorwand für eine wirtschaftliche Orientierung, so wird behaup tet, die den Profit der Energiekonzerne steigert und den Völkern der Dritten Welt das Überleben erschwert.
    Unsere timoresischen Gesprächspartner mögen Mestiços oder Melanesier sein, aber dank ihrer katholisch-portugiesischen Erzie hung wirken ihre Gedankengänge vertraut. Sie sind nicht frei von ironischen und schwermütigen Betrachtungen. Ihre Namen will ich verschweigen, denn es lebt sich weiterhin gefährlich in Timor-Leste. Unter den Deutschen spricht Jürgen Glembotzki, Berater des Wirtschaftsministeriums, ein weiches, singendes Brasilianisch und kennt sich bestens aus. Er bringt das Gespräch auf die rassi sche Mischkultur zwischen Schwarz und Weiß – indianische Ele mente sind ebenfalls erhalten –, die für das heutige Brasilien so ty pisch ist und rund um den Erdball ein hervorragendes Merkmal der portugiesischen Kolonisation war.
    Mein Nachbar, der Abgeordnete Filomeno, neigt sich mir vertraulich zu: »Wir haben allen Grund, unseren früheren Kolonialherren zu grollen«, meint er, »aber sie stehen uns psychologisch soviel näher als die Australier. Warum kommen wir besser mit den Angehörigen des ›alten Europa‹ zurecht als mit den Emissären aus Canberra und Washington? Die USA und Australien sind eben Gebilde ohne echten historischen Hintergrund, ohne die Erfah rungund die Reife der gealterten Mächte.« Die australischen Paratroopers seien als Befreier nach Dili gekommen. Jetzt würden sie schon als Besatzer empfunden.
    Was mache den Rebellen Reinado bei den kleinen Leuten so po pulär? Vermutlich, daß er als erster den Neokolonialismus der »Aussies« offen kritisierte, daß er Anstoß nahm an ihrer Überheb lichkeit, ihrem hemdsärmeligen Auftreten, das sie ihren amerikani schen Vettern so ähnlich macht. Diese Nachkommen von briti schen oder irischen Kolonisten, diese blonden oder rothaarigen Grobiane, deren Vorfahren oft als Sträflinge und in Ketten in Syd ney ausgeladen wurden, so fährt er fort, hätten im sogenannten Outback eine Form rüden Zusammenlebens als rauhe »Mates« ent wickelt, die fast barbarisch wirke. Diese weißhäutigen, sonnenemp findlichen Exoten fänden ihre höchste Lebenserfüllung im sportli chen Wettkampf und erschienen den Einwohnern von Timor wie wohl auch den meisten Indonesiern als Ausgeburten einer unver ständlichen Gesellschaft. Hinter den Attentaten des 11. Februar vermutet Filomeno angelsächsische Geheimdienste.
    Der einheimischen Gerüchteküche zufolge sei der amtierende Regierungschef Xanana Guzmão an dem Konflikt gegen Präsident Horta maßgeblich beteiligt gewesen. Auf meinen Einwand, dieser Partisanenführer stehe doch aufgrund seiner Rolle als Wider standskämpfer gegen die Annexionspolitik Jakartas jenseits allen Verdachts, stoße ich auf diskrete Vorbehalte.
    Der FRETILIN-Politiker Arconjo geht noch weiter in seinen Verdächtigungen. Er konstruiert eine Parallele zwischen dem Ti-moresen Guzmão und dem polnischen Freiheitshelden Lech Walesa. Meint er damit die Verdächtigungen, die in Warschau neuerdings gegen den Werftarbeiterführer von Danzig geschürt werden und ihn der heimlichen Kooperation mit dem kommunistischen Geheimdienst des General Jaruzelski bezichtigen? Will er dem eigenen Ministerpräsidenten eine temporäre Komplizenschaft mit den Agenten Suhartos unterstellen? Oder zieht er lediglich einen Vergleich zwischen der unzulänglichen

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