Die Angst des wei�en Mannes
britischen Kolonialmacht die Unabhän gigkeit und die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen gewährt wurde, aufgesucht. Schon damals hatte ich die Spannungen zwi schen den melanesischen Fidschi-Insulanern auf der einen, den von den Briten als Kulis ihrer Zuckerrohrplantagen in den Pazifik ver pflanzten Indern auf der anderen Seite wahrgenommen. Letztere hatten sich in wenigen Jahrzehnten stark vermehrt, stellten beinahe die Hälfte der Bevölkerung dar und entfalteten ihr angeborenes händlerisches Geschick. Die stolzen Ur-Fidschianer, die sich wäh rend des Pazifikkrieges gegen die Japaner als hervorragende Krie ger bewährt hatten und heute in diversen Blauhelmeinheiten der UNO ein verläßliches Element darstellen, dachten gar nicht daran, den lästigen Zuwanderern aus dem Subkontinent staatsbürgerliche Gleichberechtigung und noch weniger eine maßgebliche Regie rungsbeteiligung zuzugestehen.
Schon in jenen Tagen hätte man voraussagen können, daß die Wahl des Inders Mahendra Chaudhry zum Prime Minister dieses Ministaatesam Ende heftige Unruhen auslösen würde. Ich hatte mich damals in die Lektüre des Buches Long Pigs vertieft. Es schil derte sachlich und ohne Häme die kannibalischen Bräuche, die vor der Ankunft der Weißen bei den kampffreudigen, athletisch gewachsenen Melanesiern vorherrschten. Unter »Long Pigs« verstanden die Insulaner jene menschlichen Opfer, die sie zum festlichen Schmaus zubereiteten. Die Erinnerung an diese kulinarische Aufbereitung ihrer getöteten Feinde hat bei den heutigen Fidschianern übrigens nicht den geringsten Schuld- oder Minderwertigkeitskomplex hinterlassen.
Ein australischer Offizier, der in der britischen Tradition von Sandhurst ausgebildet wurde, neigt nicht zur Mitteilsamkeit »in mi litaria«. Allenfalls eine Spur von grimmigem Humor kommt bei Flaherty auf, als er die Vielzahl der winzigen Inselgruppen aufzählt, die, oft nur von ein paar tausend Polynesiern bevölkert, aufgrund amerikanischen Drängens nach dem Zweiten Weltkrieg den Status unabhängiger Staaten erhielten. Damit hat sich Washington wohl feile Stimmen in der UNO-Vollversammlung verschafft. Die Un terordnung ging so weit, daß diverse Minigebilde, die kaum aus dem Ozean herausragen, sich mit einem symbolischen Kontingent von einem halben Dutzend Soldaten am Irak-Krieg beteiligten und damit die Zahl der sogenannten »willing states« auf seiten der USA künstlich in die Höhe trieben.
Die weit verstreuten Atolle Nauru, Palau, Mikronesien – auch Carolinen genannt –, Kiribati und Tuvalu unterstehen der lockeren Aufsicht Australiens. Über die Sicherheit der Marshall-Inseln und Marianen hingegen wacht die US Navy. Seit die Republik von Tai wan sich vorsichtig an Kontinentalchina annähert, baut das Penta gon die amerikanische Besitzung Guam zu einer strategischen Drehscheibe und einem mächtigen Flottenstützpunkt aus.
Einen für Australier, Neuseeländer und Amerikaner ärgerlichen Sonderfall stellen weiterhin die französischen »Territoires d’Outre-Mer« dar. Canberra blickt mit Mißbehagen auf das vor der Küste von Queensland gelegene Neukaledonien, ganz zu schweigen von der »Polynésie française«, wo Jacques Chirac noch im Jahr 1996 auf demAtoll Mururoa seine Atombomben explodieren ließ. Flaherty erwähnt in diesem Zusammenhang wohlweislich nicht, daß Großbritannien seine erste Nuklearwaffe in der australischen Wüste zündete, und wer kümmert sich heute noch um das idyllische Inselchen Bikini, wo die Amerikaner ihre apokalyptischen Wasserstoffbomben testeten?
Major Flaherty erzählt, daß er am folgenden Tage in Richtung Aceh, an die Nordwestspitze von Sumatra aufbrechen würde. Dieser äußerste Distrikt Indonesiens, der 2004 von dem »Boxing Day« Tsunami total verwüstet wurde – allein in der Provinzhauptstadt Banda Aceh kamen damals 60 000 Menschen in der ungeheuerlichen Flutwelle um –, bedürfe immer noch humanitärer Betreuung, und Australien bleibe dort stark engagiert. Vielleicht gibt es auch noch an dere Gründe für die Regierung von Canberra, diese Schlüsselregion, die die Seestraße von Malacca beherrscht, im Auge zu behalten.
Von meinem kurzen Aufenthalt im Sommer 1975 bleibt mir der religiöse Eifer der Bevölkerung von Aceh lebhaft in Erinnerung. In unzähligen Koranschulen, die hier »Pesantren« heißen und in Frankreich als »petit séminaire« bezeichnet würden, werden die jungen Gläubigen ausgebildet, um standhaft zu streiten, »fi sabil Allah«.
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