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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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als dreißig Jahren auf dem Fünften Kontinent vollzogen hatten. Da war zunächst die nördliche Hafenstadt selbst, die durch den Wir belsturm Tracy am Weihnachtsabend 1974 total verwüstet worden war. Die Naturkatastrophe hatte unvergleichlich schlimmere Schä den angerichtet als die 64 Bombenangriffe der japanischen Luft waffe im Zweiten Weltkrieg.
    Der Hafen, nach dem Vater der Entwicklungslehre Charles Dar win benannt, wurde als hochmoderne, etwas seelenlose Stadt wie der aufgebaut. Die neuen Bauten wurden durch Stahlstreben und spezielle Verankerungen so angelegt, daß sie in Zukunft jedem Hurrikan trotzen könnten. Mit seinen 70 000 Einwohnern hat sich dieser isolierte Vorposten zum wichtigsten Tor Australiens in Rich tung Ostasien entwickelt.
    Ander Theke des einzigen typisch angelsächsischen Pubs, der »Tracy« widerstanden hatte, wurde mir bestätigt, daß seit kurzem die Volksrepublik China als wichtigster Handelspartner den Japa nern den Rang abgelaufen hat. Eisenerz im Wert von 8,5 Milliar den australischen Dollar und ein gewaltiges Volumen an Steinkohle wurden im vergangenen Jahr ins Reich der Mitte verschifft, und dazu kamen steigende Lieferungen von Uran, Bauxit, Mangan, Kupfer und Edelmetallen. Auch für die landwirtschaftliche Produk tion, für Weizen, Lamm- und Rindfleisch, ist China der wichtigste Abnehmer. Mächtige Staatskonzerne der Volksrepublik, wie Sino steel oder Chinalco, haben auf dem Fünften Kontinent Fuß gefaßt, und diverse Joint Ventures greifen inzwischen auch auf Neuguinea über.
    Ob auf Dauer das erdrückende Übergewicht Chinas, vor allem auch dessen militärisches Erstarken in Canberra nicht als Bedro hung empfunden werde, ob nicht die ökonomische Verflechtung auch eine politische Abhängigkeit nach sich ziehen könne, frage ich. Aber der Major gibt sich zuversichtlich. Die rassistischen Anhänger der »One Nation Party«, die »White Australia« vor den anstürmen den asiatischen Horden retten wollten und die Forderungen nach einer anglo-irischen Monokultur erhoben, hätten mitsamt ihrer Wortführerin, Pauline Hanson, jeden nennenswerten Einfluß ver loren. Eine Umfrage habe ergeben, daß lediglich neunzehn Prozent der zwanzig Millionen Australier, die immer noch zu 91 Prozent eu ropäischen Ursprungs sind, den Aufstieg Pekings zur Weltmacht als existentielle Gefährdung empfänden.
    Seit den sechziger Jahren habe die Immigration aus asiatischen Ländern zugenommen, gesteht mein Nachbar. »Das fand vor allem nach dem Sieg der Kommunisten in Vietnam statt, als die ›boat people‹ an unseren Küsten auftauchten. Aber insgesamt machen die Asiaten weniger als ein Zehntel unserer Bevölkerung aus, und wir haben mit ihnen keinerlei Probleme.« Die Nachbarschaft Indonesiens hingegen erscheine in einem kritischen Licht. Seit den Attentaten von Kuta seien die Australier mißtrauisch geworden, und bei allen offiziellen Freundschaftsbeteuerungen in Richtung Jakarta seiendie Sicherheitsdienste auf der Hut vor dem Auftreten islamistischer Terroristen. Ob seine Reise nach Aceh damit zusammenhänge, frage ich, aber erhalte nur einen Trinkspruch zur Antwort.
    In Darwin waren mir am Rande üppig bepflanzter, oft luxuriöser weißer Wohnviertel auch die bescheidenen Häuschen aufgefallen, vor denen dunkelhäutige Aborigines wie Gestalten aus einer ande ren Welt auftauchten. Meist lungerten sie untätig herum, hatten die Bierflasche zur Hand und konnten sich offenbar nicht einfügen in die fremde, immer noch abweisende Welt der weißen Eroberer. Im Jahr 2007 hatte der damalige Premierminister John Howard radi kale Maßnahmen ergriffen, um in den »Northern Territories« – im weiten Umkreis von Darwin – die dort siedelnden »Communities« der Ureinwohner zu »stabilisieren« und zu »normalisieren«. Mit dem Einsatz von Polizei und Ärzteteams sollte gegen die unerträg lichen Zustände vorgegangen werden – Kriminalität, Alkoholismus, Kindesmißbrauch, Verwahrlosung –, die angeblich bei den Abori gines in erschreckendem Maße zugenommen hatten.
    Zwar waren den weit verstreuten Stämmen – die insgesamt knapp eine halbe Million Menschen zählen dürften – in den achtziger Jah ren ausgedehnte Territorien mit begrenzter Autonomie zugewie sen worden. Aber in diesen Reservaten machte sich zunehmend Unzufriedenheit und Aufsässigkeit breit, weil ihnen der Profit an den dort geförderten Bodenschätzen vorenthalten wurde. John Howard hatte sich konstant geweigert, den Aborigines

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