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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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wieder aufleben, eine befremdende, etwas unheimliche Veranstal tung.
    Im Umkreis der Missionsstationen von Derby und Broome ge hörteviel Gottvertrauen oder menschliche Anmaßung dazu, um nicht zum Anhänger der Entwicklungstheorie zu werden. War nicht der Darwinismus eine weit fundamentalere Herausforderung für das Christentum als jene marxistische Häresie, die den Erlösungsglauben lediglich vom Jenseits in eine diesseitige Utopie verpflanzte? Mit ihren Rhythmen huldigten sie den Vorfahren der Traumzeit, die einst die Menschen erschufen. Sie vertrauten ihnen die Welt an und zogen sich dann wieder in die Erde zurück. Die Stellen, wo sie sich in Felsenschluchten oder Höhlen aufhielten, sind weiterhin heilig. An heiligen Plätzen hinterließen die Schöpferwesen einen Teil ihrer Energie, die die Aborigines durch kultische Zeremonien regelmäßig erneuern müssen. So bleibt die Beziehung zu den Vorfahren erhalten, und die Verbindung zur Traumzeit reißt nicht ab.
    Die Ortschaft Broome, mit rund tausend Einwohnern die größte Siedlung in den Kimberleys, war ein Schmelztiegel der Rassen. Dieser entlegenste Zipfel am Rande des Kontinents war der einzige Punkt Australiens, wo eine bescheidene Brücke zu den Kulturen Asiens geschlagen wurde. Die Asiaten und ihre Mischlinge, so hörte man, würden hier ein psychologisches Polster zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Aborigines und Anglo-Australiern bilden.
    Am späten Nachmittag herrschten im Continental Motor Hotel von Broome Jubel und Trubel. Eine gesellschaftliche Nivellierung fand in diesen Saloons statt, wo Wildwest-Atmosphäre vorge täuscht wurde, wo Trunksucht die einzige Form der menschlichen Kommunikation schien und Rassenvermischung sich zu später Stunde am Strand fortsetzte. Der gemeinsame Nenner der Verbrü derung in diesen Bars, die jeden Tag ab fünf Uhr nachmittags über füllt waren, war das Bier. Den Aborigines war der Alkoholkonsum erst seit 1967 offiziell erlaubt worden. Bierkonsum galt als Status symbol der Weißen, solange die Farbigen davon ausgeschlossen waren. Heute glauben die Ur-Australier und ihre Abkömmlinge, mit der Bierflasche in der Hand eine Art Gleichberechtigung zu demonstrieren.
    Als Perlenfischer waren die Väter der Asiaten von Broome nach Australiengekommen, aus Indonesien, China und vor allem aus Japan. Als einzige geschlossene Gruppe hatten sie die strenge Rassenpolitik des »White Australia« durchgestanden, jene drakonischen Einwanderungsbeschränkungen, die noch unlängst den Fünften Kontinent jeder gelben Zuwanderung versperrten. Asiatische Straßenbeschriftungen auf Chinesisch, Malaiisch und Indonesisch waren ein Kuriosum für diesen Kontinent.
    Die Grabsteine mit den chinesischen und japanischen Namen standen wie Wegweiser entlang der Straße, die zum Hafen von Broome und zur offenen See führte. Sie gemahnten daran, daß die Insel Timor wie ein Vorposten der übervölkerten asiatischen Kon tinentalmasse nur fünfhundert Kilometer jenseits des Wassers liegt. Ein Bad im Ozean war wenig ratsam, denn dort lauerten riesige Salzwasserkrokodile, »Salties« genannt, auf Beute, eine der weni gen Tiergattungen, die die vermutlich durch einen Meteoriten ver ursachte Auslöschung der Dinosaurier überlebt hat.
Bei den Nachkommen der Sträflinge
    Bali, im März 2008
    »White Australia«: Wenn ich meine Notizen aus dem Jahr 1974 zur Hand nehme, stelle ich das ganze Ausmaß der Veränderungen fest, das diese einst äußerst rassebewußte Gesellschaft seitdem durchlaufen hat. Wer damals im Umkreis der großen Küstenstädte lebte und ständig neue Wolkenkratzer oder architektonische Bra vourstücke in den Himmel wachsen sah, der kannte die Ureinwoh ner Australiens meist nur als ferne Legende.
    Ein Viertel der weißen Einwohner nach Lockerung der Einwanderungsgesetze war in Europa geboren. Viele kamen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aber auch aus Griechenland, Italien, Polen und »last but not least« aus Deutschland. Vor dreißig Jahren konnten die Soziologen bei der damals überwiegend anglo-irischen Ein wohnermassenoch folgende Charakterzüge feststellen: Männlichkeitskult, Vergötzung der sportlichen Leistung, Unsicherheit gegenüber dem weiblichen Geschlecht und vor allem eine kleinkarierte Lebensphilosophie. Die Zeitung Australia, durchaus kein subversives Blatt, beklagte, daß die australische Jugend in einem endlosen pubertären Disneyland aufwachse, daß weder in Schule noch Beruf Auslese oder Bewährungskampf stattfände,

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