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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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dieser Ansammlung von Zucht häuslern war zudem jener Kapitän William Bligh, der anläß lich der Meuterei auf der »Bounty« traurige Berühmtheit erlangt hatte.
    Den Australia Day erlebte ich damals als historische Parodie. Der alte Stadtkern von Sydney war rekonstruiert worden, und hinter der sorglosen Ausgelassenheit der Gegenwart wurden schmerzliche Narben sichtbar. Zum Scherz traten Laienschauspieler auf, die die gequälten Gefangenen und ihre uniformierten Bewacher darstell ten. Sie erinnerten daran, daß allein in den Jahren 1830 bis 1837 laut amtlichen Angaben 42 000 öffentliche Auspeitschungen stattgefun den hatten. Die unfreiwilligen ersten Siedler, überwiegend Opfer der zum Himmel schreienden sozialen Mißstände beim englischen Proletariat, waren von der herrschenden Klasse Albions wie menschlicher Müll an diesen fernen, unwirtlichen Gestaden ausge setzt worden. Es waren schwergeprüfte, verrohte Menschen, die nach Absitzen ihrer Haft in die unendliche Weite des »Outback« entlassen wurden.
    In den dunkelhäutigen Aborigines mit ihren Zottelmähnen, die nie einen Sinn für persönliches Eigentum entwickelt hatten und häufig Viehdiebstähle begingen, sahen die weißen Eindringlinge eine schädliche Tiergattung, eine Art Untermenschen, die nicht einmal zur Sklavenarbeit taugten. Sie knallten sie gnadenlos ab oder fielen – in Ermangelung weißer Frauen – über deren höchst un attraktive Weiber her.
    Wie grauenhaft es bis ins späte neunzehnte Jahrhundert zugegangen ist, entdeckte ich bei einem Abstecher auf die Insel Tasmanien in der festungsähnlichen Sträflingsanstalt von Port Arthur. Ein ver gilbtesFoto zeigte eine Jagdpartie weißer Männer, die sich in triumphierender Pose gruppiert hatten. Die Beute zu ihren Füßen waren keine Tiere, sondern menschliche Ur-Tasmanier, die in ihrer Entwicklungsstufe nicht einmal den Stand der australischen Aborigines erreicht hatten und zumindest ein fürsorgliches ethnologisches Interesse verdient hätten. Doch sie wurden wie nutzlose Tiere zur Strecke gebracht und systematisch ausgerottet.
    Trotz mancher Zugeständnisse, die die Regierung von Canberra seit den achtziger Jahren den Eingeborenen machte – dazu gehörte die Zuweisung riesiger Flächen des Kontinents – kommt es nur ex trem selten zu einer wirklichen Integration oder einer Hinwendung der Aborigines zu nützlicher, gewinnbringender Tätigkeit. Die we nigen Wortführer einer berechtigten Auflehnung und Rückbesin nung auf die eigenen Bräuche sind meist farbige Australier, die zum Teil auf weiße Vorfahren zurückblicken, und selbst sie gestehen, daß ihr Anspruch auf Gleichheit allzu oft an der Passivität der eigenen Artgenossen scheitert, daß es aber auch keine Rückkehr zur ange stammten Kultur geben könne. Sogar die christlichen Missionare und engagierten Philanthropen neigen zur Resignation.
    Inzwischen findet eine zunehmende Verstädterung der Urbevöl kerung statt. Vor dreißig Jahren hatten sich schon ein paar tausend Aborigines im Stadtteil Redfern von Sydney in einer Art Ghetto niedergelassen. Sie hatten dort sogar ein kleines Theater eingerich tet, und die Bühnenszene sollte das Leben einer Eingeborenen familie vor der Ankunft der Weißen zeigen. Der Vater brachte dem Sohn bei, wie man ein Känguruh erlegt. Der »gute Wilde« des Jean-Jacques Rousseau wurde auf der Bühne von Redfern lebendig.
    In der Pause schlug die Stimmung hoch. Unter den Zuschauern und Schauspielern war kein einziger reiner Ur-Australier zu finden. Die meisten waren Mischlinge. Manche weiße Sympathisanten hatten sich ihnen zugesellt. Im Mittelpunkt der allgemeinen Begeisterung, die durchaus politisch motiviert war, stand ein junger Farbiger in gut geschnittenem Anzug. Robert Mallet hieß der Autor des Theaterstücks, das den Niedergang seiner Rasse schilderte. Er war speziell für diesen Abend aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine Haftvon sieben Jahren wegen gewaltsamen Einbruchs verbüßte, und er sollte nach Ende der Aufführung dorthin zurückkehren.
    Die letzte Szene stellte die Unterwerfung der Aborigines dar. Zu dritt waren die Vertreter der weißen Zivilisation angetreten – ein Missionar, ein Soldat, ein Siedler. In grotesker Form versuchten sie dem verstörten Eingeborenen ihre Botschaft und ihre Lebensform aufzuzwingen. Aber der Wilde begriff nicht, und da er sich zur Wehr setzte, wurde er niedergeschossen.
Geisterstädte im »Outback«
    Coolgardie (Australien), im Herbst 1974
    »Das

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