Die Angst des wei�en Mannes
malischen Kannibalismus der Stärkeren zum Opfer.
In diesem »Never-never-Land«, das durch den Film »Crocodile Dundee« weithin bekannt und inzwischen zur Touristenattraktion wurde, befinden sich die eigenartigsten Felsmalereien aus grauer Vorzeit, die den bizarren Vorstellungen der »Traumwelt« Ausdruck verleihen. Da werden magische Szenen dargestellt, die zwar weit primitiver sind als die faszinierenden Höhlenmalereien des Cro magnon-Menschen in Europa, aber als Weihestätte mit strengen Tabus behaftet sind. Sie stellen eine Verbindung her zu der Welt der Ahnen und werden in kultischen Riten verehrt. Neben beschwören den Jagdmotiven, auf denen die Fußspuren des Känguruhs nachge bildet sind, entfalten sich hochkomplizierte Blattzeichnungen, Dar stellungen jenes mythischen Lebensbaums, dessen Verästelungen das ungeheuer komplizierte System der geheimen Sippenbeziehun gen darstellen.
Die Bohrtrupps aus »White Australia«, die unter Mißachtung der Ansprüche der Eingeborenen auf die Bodenschätze ihres Territori umsin der Umgebung der reichen Uran-Vorkommen schürfen, müssen besondere Umsicht walten lassen, um der neuen, toleranten Eingeborenenpolitik Canberras Rechnung zu tragen. Aber was wissen diese Prospektoren schon von der Bedeutung der Regenbogenschlange, die immer wieder in den Höhlen dargestellt ist? Dieses schlummernde Monstrum darf von niemandem aufgescheucht werden, weil sonst der Untergang der Welt droht. Es ist, als hätten die Aborigines eine geheime Ahnung gehabt von der zerstörerischen Gewalt, von der vernichtenden Strahlung, die von dem bei ihnen gelagerten Uranerz ausgeht. Daneben taucht an den Weihestätten immer wieder jene kreisförmige Spirale auf, die die Grundvorstellung der Ureinwohner symbolisiert, die Traumwelt, das Motiv der ewigen Wiederkehr und des stets erneuerten Lebens, ein zyklischer Pantheismus, der den Ethnologen noch manches Rätsel aufgibt.
Kaiser-Wilhelm-Land
Lae (Neuguinea), im Frühjahr 1966
Vierzig Jahre lang – von 1874 bis 1914 – hat die schwarz-weiß-rote Fahne des Zweiten Deutschen Reiches über dem nordöstlichen Viertel von Neuguinea und einer Anzahl von Inseln im Pazifischen Ozean geweht. Wer weiß das überhaupt noch in der heutigen Bun desrepublik? Ich war, von Brisbane in Queensland kommend, auf der grün umwucherten Rollbahn von Lae gelandet. Der frühere deutsche Verwaltungssitz von »Kaiser-Wilhelm-Land«, wie man die ferne koloniale Erwerbung genannt hatte, war immer noch ein unansehnlicher Fischerhafen mit ein paar Verwaltungsschuppen. Im Zweiten Weltkrieg war Lae durch die sukzessiven Bombardie rungen von Japanern und Amerikanern fast völlig zerstört worden.
Gleich am ersten Abend hielt ich auf Wunsch der kleinen deutschen Gemeinde von Neuguinea einen Vortrag über den Prozeß dereuropäischen Einigung, die – von den Antipoden aus – ziemlich unvorstellbar erschien. Vor dieser Zuhörerschaft von Kaufleuten und ein paar Missionaren hatte ich damals noch im Brustton der Überzeugung über das Versöhnungswerk referieren können, das von Adenauer und de Gaulle kurz zuvor in der Kathedrale von Reims und dem Elysée-Palast zelebriert worden war. Heute würde ich mit erheblichen Vorbehalten von einer kontinuierlichen Union des Kontinents sprechen, die durch ihre überstürzte Ausweitung weit nach Osten ihre Substanz und ihre Kohäsion eingebüßt hat.
Am folgenden Tage begleitete mich ein Pater der Steyler Mission zu einem bescheidenen Anwesen, das als Erinnerungsstätte diente. Viel war nicht übriggeblieben von der Zeit, als der letzte Hohenzol lernherrscher »herrliche Zeiten« ankündigte und auf deutsche Weltgeltung drängte. Da hing eine Reichskriegsflagge, ein schönes Emblem, das in unseren Tagen leider von rechtsextremistischen Randalierern als Panier mißbraucht wird.
Der Missionar verwies mich auch auf ein Schild der Deutschen Reichspost und vor allem auf das erhaltene Portal des »Hospiz für Eingeborene«. Für die damalige Zeit war eine solche medizinische Betreuung der schwarzen Papua-Bevölkerung keine Selbstver ständlichkeit, sondern wirkte durchaus fortschrittlich, auch wenn die weißen Kranken in einem strikt getrennten Gebäude behandelt wurden. Insgesamt scheint die wilhelminische Kolonialverwaltung, die sich auf die humanitäre Vermittlung katholischer und evange lischer Missionare stützte, recht tolerant, ja wohlwollend gewesen zu sein in diesen pazifischen Besitzungen, die die inzwischen um getauften Inseln
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