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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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kam. Ihre Entstehungsmythen unterschieden sich von den Schöpfungs legenden der anderen Völker des pazifischen Raums, zumal von den Sagen ihrer melanesischen Nachbarn Neukaledoniens, die sich selbst als »Kanaken«, das heißt als »Menschen« bezeichnen, und bis auf den heutigen Tag als Bürger eines Territoire d’Outre-Mer der französischen Republik weitgehende Autonomie genießen.
    Die Maori verehren eine Vielzahl von Naturgöttern, die dem Himmelsvater Ranginui und der Erdenmutter Papatuanuku unter stehen. Eine besondere Rolle spielt der heldische Halbgott Maui, der die Nordinsel Neuseelands aus dem Meer zauberte, ehe er zwi schen den mächtigen Schenkeln des weiblichen Fabelwesens Hine Nui-Te-Po erdrückt wurde.
    Der Kultur der Maori haftet etwas Unheimliches an. Dazu tragen die Tätowierungen oder »Moko« bei, die bei den Kriegern fast den ganzen Körper bedecken und heute wieder in Mode kommen. Bei den Frauen beschränkt sich diese blau gezeichnete, schmerzhafte Verzierung auf den Umkreis von Kinn und Lippen. Ihre prachtvol len polychromen Holzschnitzereien, die früher den Eingang ihrer »Mae«, ihrer sakralen Versammlungsstätten, schmückten und den Totempfählen der Indianer am pazifischen Rand ähneln, hatten zur Zeit der großen Migration die mächtigen, robusten Kanus in be waffnete See-Ungeheuer verwandelt.
    Vonall diesem Zauber ist in dem weiten, grünen Land nur noch wenig zu entdecken, obwohl sich im Umkreis der Farm meines Sohnes eine relativ zahlreiche Maori-Gemeinde erhalten hat. Vom Typus her nehmen diese Polynesier, die bei Ankunft der ersten Eu ropäer zwischen hundert- und hundertfünfzigtausend Menschen gezählt haben dürften, eine Sonderstellung ein. Dank ihrer robu sten biologischen Veranlagung sowie einer intensiven Vermischung mit weißen Einwanderern haben sie überlebt.
    Wenn sie im neunzehnten Jahrhundert fast ausgelöscht wurden, so war das weniger auf die Feldzüge britischer Kolonialtruppen zurückzuführen, die mit Anerkennung von der ungewöhnlichen Bravour dieser Insulaner berichteten, als auf die sogenannten Mus ketenkriege, die sie mit extremer Grausamkeit untereinander aus trugen. Die Fehden zogen sich über Jahrzehnte hinweg und pflanz ten sich bis zum äußersten Süden fort in dem Maße, wie die Stämme des Nordens sich als erste mit den Musketen der Europäer ausstat teten und dank dieser überlegenen Bewaffnung schrittweise ihre Anverwandten des Südens vernichteten oder unterwarfen.
    *
    Auf unserer Fahrt zu dem nahen Ankerplatz, wo Romans Boot an getäut liegt, passieren wir verstreute, sehr angelsächsisch anmu tende Ortschaften, deren Häuser durch Grünflächen von den Nachbarn getrennt sind. Dabei fallen auch langgestreckte, ver schlossene Bauten auf, die von den ortsansässigen Maori als Ver sammlungsräume genutzt werden und vornehmlich dem Ahnenkult gewidmet sind. Bei den Maori, die heute etwa fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung Neuseelands ausmachen, hat in den vergange nen Jahrzehnten eine bemerkenswerte Urbanisierung stattgefun den. Lebten im Jahr 1936 laut Statistik nur siebzehn Prozent in den Städten, so ist dieser Anteil inzwischen auf achtzig Prozent hoch geschnellt, obwohl die britischen Kolonisten den Ureinwohnern nach endlosem Palaver riesige Territorien zurückerstatteten. Vor allem die Jugend verfällt der Landflucht.
    Wenndie Maori sich gegenüber den Weißen Prestige und Anse hen bewahren konnten, das den meisten unterworfenen Kolonial völkern versagt blieb, so ist das wohl auf ihren martialischen Le bensstil und ihren ungewöhnlichen Kampfesmut zurückzuführen. Im Waikato-Krieg von 1863 hatten fünftausend Maori einer briti sche Übermacht von zwanzigtausend Soldaten des Empire, die mit schwerer Artillerie angerückt war, hartnäckigen Widerstand gelei stet und ihr sogar empfindliche Niederlagen beigebracht. Die Er innerung daran bleibt auf beiden Seiten lebendig.
    Im Gespräch mit meinem Sohn erfahre ich, daß die von christli chen Predigern geschürte Prüderie seiner neuen Heimat der Ver gangenheit angehört und einer demonstrativen Permissivität ge wichen ist. Der Sport bleibt für die Kiwis weiterhin die Krönung aller menschlichen Tätigkeiten und hilft ihnen, die Langeweile der Sonntage zu überwinden. Aber die Pubs schließen neuerdings nicht mehr um sechs Uhr abends, sondern dehnen den Ausschank bis sechs Uhr morgens aus. Die Qualität der Mahlzeiten hat sich we sentlich gebessert. Die früher verabscheute Homosexualität ist

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