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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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weit verbreitet und stellt sich ohne Hemmungen zur Schau.
    Mit Romans Boot, das eine Weltumseglung hinter sich hat, drin gen wir in die Bay of Islands vor. Wir nehmen ein Bad im Pazifik, und das Wasser ist weit kühler, als ich es erwartet hatte. Die Sonne hingegen brennt schmerzlich auf der Haut. In dieser Weltgegend wird ihre Strahlenwirkung durch ein Ozonloch intensiviert. Bei den weißen Australiern und Neuseeländern zählen Hautkrebs – Mela nom und Basaliom – zu den häufigsten, oft tödlichen Erkrankungen. Die Pakeha haben sich mit ihrer erdrückenden Übermacht hier etablieren können. Aber die kosmischen Strahlungen, gegen die die Eingeborenen unempfindlich sind, scheinen sich an den blaßhäuti gen, blonden Eindringlingen aus Britannien und Irland zu rächen.
    An diesem Sonntag sind zahlreiche andere Segler unterwegs. Um dem Schwarm von Touristen zu entgehen, legen wir nicht an der Landzunge von Russel an. Vom Schiff aus erblicken wir das berühmte Treaty House von Waitangi, wo im Jahr 1840 zwischen dem ersten britischen Gouverneur und 45 Maori-Häuptlingen ein Ver tragunterzeichnet wurde, der bis heute wie eine pazifische Magna Charta die Beziehungen zwischen Einheimischen und weißen Kolonisatoren regelt. Es hatten sich anfangs nur zweitausend Pakeha auf der Nordinsel niedergelassen, aber diese Zahl wurde durch den »Rush«, die massive Zuwanderung von Europäern binnen fünfzig Jahren, auf eine halbe Million vermehrt.
    Der Vertrag von Waitangi war in zwei Sprachen, Englisch und Maori, abgefaßt. Die Texte differierten erheblich. In der englischen Fassung wurde unter Wahrung begrenzter Eigenrechte der Poly nesier die Autorität der britischen Verwaltung betont. Im Text des Maori-Dokuments wurden hingegen die Vorrechte der Häuptlinge verankert und vor allem der Landbesitz der Stämme garantiert. Als Folge der diversen »Landkriege«, die fast zur Auslöschung der Ur bevölkerung geführt hätten, schrumpfte das Siedlungsgebiet der Maori wie ein Chagrinleder. Bei den Pakeha fand jedoch sehr bald eine politische Spaltung in Konservative und Liberale statt. Die Ge werkschaften gewannen ein solches Gewicht, daß Professoren, die die Kiwi besuchten, ihnen »Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit« bestätigten. Dieser Gleichheitsinstinkt kam am Ende auch den Maori zugute, die dank zunehmender Geburtenzahlen wieder an Gewicht gewannen.
    Der entscheidende Wendepunkt vollzog sich unter eigenartigen Umständen. Wenn Neuseeland sich definitiv zu einem binationa len Staatswesen entwickelte – Kiwi und Maori – und deren polyne sisches Idiom neben dem Englischen als offizielle Sprache aner kannt wurde, so ist das der alles beherrschenden Begeisterung für jede Form von Sport, an erster Stelle aber für Rugby, zu verdanken.
    Es geschah im Jahr 1981. Damals gingen Zehntausende liberaler Neuseeländer auf die Straße, um gegen die Ankunft des südafrikanischen Rugbyteams »Springboks« zu protestieren. In der Mannschaft »All Blacks« waren zahlreiche Maori als besonders bewährte und rüde Spieler hochgeschätzt. Rugby, so hieß es in der Presse von Auckland, sei für den Zusammenhalt dieses fernen britischen Dominions ebenso wichtig wie die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg. Die südafrikanischen Sportler erschienen in den Augen der Kiwis aufgrundder Apartheid-Politik ihrer Regierung als unzumutbare, ja schändliche Partner.
    Die »Tour«, so ist das Ereignis in die Geschichte eingegangen, hat gleich zwei gewichtige Entwicklungen ausgelöst. Die Welle der Empörung gegen die rassistische Diskriminierung in Südafrika hat den endgültigen Durchbruch der Maori zur staatsbürgerlichen Gleichberechtigung bewirkt. Am Ende der Rehabilitierung der neuseeländischen Ur-Rasse stand die Übereignung eines immen sen Waldgebiets von 176 000 Hektar, ein Revier im Gegenwert von 270 Millionen Euro, an das mächtigste Stammeskollektiv. Die Re gierung von Wellington machte sich somit die Maori-Auslegung des legendären Vertrags von Waitangi aus dem Jahr 1840 zu eigen.
    Die sensationellste Auswirkung erzielte der Streit um die »Rugby-Tour« jedoch in Südafrika. Die dortigen Weißen hatten die Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen, die weltweite Verurteilung der »Pigmentokratie« bislang mit relativer Gelassen heit ertragen. Jetzt fand ein psychologischer Umschwung statt. Die Buren, ähnlich sportbesessen wie Australier und Neuseeländer, konnten es nicht ertragen, daß ihre heißgeliebten »Springboks« wie Aussätzige

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