Die Angst des wei�en Mannes
gewährt wurde, auch die politischen Repräsentanten der ehemals deutschen Kolonie Samoa in Genf vorstellig wurden, um eine ähn liche Loslösung aus der Bevormundung durch Neuseeland zu er reichen. Wellington, so beschwerten sich die Häuptlinge von Sa moa, habe seine administrativen Pflichten grob vernachlässigt, ja nicht einmal für den Bau eines Gefängnisses gesorgt, so daß die Kri minellen – hinter einem lockeren Bretterzaun eingesperrt – schon kurz nach ihrer Verurteilung das Weite suchten.
Die Petition Samoas fand bei der zuständigen Kommission der »League of Nations« nicht den geringsten Widerhall. Die politi sche Eigenstaatlichkeit kam ihrer Verwirklichung erst nahe, als die Nachfolgeorganisation United Nations die systematische Emanzi pation der ehemaligen Mandatsgebiete in Afrika und Ozeanien auf ihre Tagesordnung setzte.
Als »Insel aus Träumen geboren« ist mir Samoa nicht in Erinne rung geblieben. Aufgrund ihres vulkanischen Ursprungs sind die Strände schwärzlich gefärbt. In Apia fielen mir zwei Kirchtürme auf, die noch auf deutsche Architekten verwiesen. Unsere Spuren-suche nach wilhelminischen Überresten hat uns nicht sehr weit ge führt. Mit ein paar Geschäftsleuten, die sich auf deutsche Vorfah ren beriefen, waren wir unverbindlich ins Gespräch gekommen.
Ich ließ das Kamerateam mit den wenig mitteilsamen Landsleuten zurück, um mich im Garten unserer bescheidenen Unterkunft zu sonnen, als meine Siesta dramatisch unterbrochen wurde. Meine Gefährten standen mit blutverschmierten Gesichtern und dem Ausdruck heller Empörung vor mir. Als sie die Nachkommen deutscher Kolonisten nach höflicher Anfrage filmen wollten, waren sie von diesen zwielichtigen Gestalten ohne Warnung überfallen und mit Faustschlägen traktiert worden. Immerhin war die Kamera nicht beschädigt worden. Um die erregte Stimmung zu besänftigen, erlaubte ich mir einen blöden Scherz: »Ihr habt ja noch Glück ge habt,daß ihr nicht im Kochtopf gelandet seid«, sagte ich und löste keinerlei Heiterkeit aus.
Wir machten uns unverzüglich auf den Weg zum Polizeichef von Apia, der rein polynesisch aussah, aber einen deutschen Namen trug. Er registrierte unsere Beschwerde mit träger Resignation. Manche seiner Kompatrioten seien extrem streitsüchtig, beschwich tigte er. Fast an jedem Wochenende käme es zu brutalen Raufe reien und sogar zu Messerstechereien.
Ich mußte an den Reisebericht eines seltsamen, von patriotischem Überschwang inspirierten Vorgängers denken, einen gewissen Otto Ehlers aus Pommern, der 1894 als elitärer Abenteurer Samoa als »Perle der Südsee« und als eine für das Deutsche Reich hochren table Kolonie beschrieben hatte. Den Eingeborenen begegnete er mit Sympathie, schätzte sie als überaus kriegerisch veranlagte Men schen und bedauerte die Zähmung ihrer angestammten Wildheit. Wohl nicht auf Samoa, aber auf manchem anderen pazifischen Ar chipel, wie den Salomonen, gab es damals auch häufig Fälle von Kannibalismus. Ehlers erwähnte in seinem Reisebericht, daß das Fleisch von Europäern bei den Eingeborenen durchaus nicht als Leckerbissen galt, sondern einen unangenehmen Beigeschmack habe. Die Kolonialberichte haben überliefert, daß dieser forsche Erkunder fremder Sitten wenig später auf Neuguinea selbst dem Appetit der stolzen »Highlanders« zum Opfer fiel.
Man hüte sich jedoch vor Vorurteilen und blutrünstigen Anekdo ten. So bereitete uns der Regierungschef von Samoa, ein beleibter, würdiger Polynesier, einen durchaus freundlichen Empfang. Er trug über der landesüblichen Tracht, einem kiltähnlichen Rock, der hier »Lapa-Lapa« heißt und bis über die Knie reicht, ein maßge schneidertes englisches Jackett. Die Residenz von Premierminister Mata’afa Mulinu’u II. war in ein Meer herrlicher Blüten eingebet tet und im überlieferten polynesischen Stil errichtet worden. Das kuppelförmige Dach ruhte auf Holzsäulen, deren Zwischenraum erfrischenden Durchzug erlaubte und bei starkem Regenfall abge schottet wurde.
Mata’afa Mulinu’u II. hatte keinen persönlichen Bezug mehr zur fünfzehnjährigendeutschen Kolonialpräsenz, aber er lobte die ungewöhnliche Dynamik der zuständigen hanseatischen Handelsgesellschaft, die binnen kurzer Frist riesige Plantagen von Kokospalmen anlegte und deren Stämme wie preußische Grenadiere ausrichtete. Nach ihrer Mandatsübernahme im Jahr 1920 hätten die Neuseeländer keinerlei zusätzliche Anpflanzungen vorgenommen. Bis auf den
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