Die Angst des wei�en Mannes
heutigen Tag stellt die Kopra-Produktion den einzig nennenswerten Gewinnposten Samoas dar und bestreitet das Staatsbudget zu sechzig Prozent.
Trotz der mangelnden Fürsorge der Mandatsbehörden sei nach der Unabhängigkeit die Bindung an Wellington geblieben. West samoa leide an Übervölkerung, und es finde eine massive Abwan derung nach Neuseeland statt. Diese Migration beraube die Insel ihrer aktivsten und tüchtigsten Kräfte. Der Premierminister konnte damals nicht ahnen, daß Auckland im Jahr 2008 die heimliche Hauptstadt Samoas würde, daß die Mehrzahl seiner Landsleute im Land der Maori leben würde, denen sie ethnisch und linguistisch verwandt sind.
Die Verwaltung der größten Plantagengesellschaft wurde zur Zeit meines Aufenthalts von einer Samoanerin mittleren Alters wahrge nommen, einer Business Woman, die von einem der 329 deutschen Kolonisten des wilhelminischen Reichs abstammte und den Fami liennamen Schaffhausen trug. Diese energische Matrone hatte uns auf deutsch mit »Guten Tag« begrüßt und trauerte offenbar der kurzen deutschen Präsenz nach.
Zur Besichtigung ihrer ausgedehnten Pflanzungen stellte sie mir ein Pferd zur Verfügung, ein kräftiges Tier, auf dem ich zwei Stun den lang unter den kerzengeraden Palmenstämmen wie im Säulen wald einer tropischen Kathedrale trabte und galoppierte. Da ge wann plötzlich diese anfangs recht ungastliche Insel eine Spur jenes Zaubers zurück, dem einst die frühen Entdecker und Abenteurer erlegen waren. Es störte mich nicht, wenn die reifen Kokosnüsse ringsum auf den Boden krachten, hatte ich doch schon im Maghreb gelernt, daß diese Früchte – einem weit verbreiteten Aberglauben zufolge – am unteren Ende mit zwei »Augen« ausgestattet sind, die darüberwachen, daß kein wohlwollender Besucher zu Schaden kommt.
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Die Ethnologin Margret Mead hat sich in ihren Studien intensiv mit Samoa befaßt und ein allzu idyllisches Bild von den dorti gen Gesellschaftszuständen entworfen. Die Illusion vom »guten Wilden«, der schon die europäische Aufklärung erlag, wurde un längst durch die nüchterne Schilderung des deutsch-polynesischen Schriftstellers Albert Wendt ins Reich der Fabel verwiesen. Die Bräuche, die auf Samoa vorherrschten und die Ankunft der Weißen zum Teil überlebten, waren keineswegs paradiesisch. Die dortige Gesellschaft erschöpfte sich im Gemetzel verfeindeter Stämme, un terstand einer unerbittlichen Clan-Hierarchie, deren Häuptlinge die sklavische Verehrung ihrer Untertanen genossen und aufgrund ihrer Würde als Naturpriester oder Schamanen über Leben und Tod entschieden.
Die Einführung einer formellen Demokratie dürfte sich hier schwertun. Bei den überlieferten Festlichkeiten nehmen die Chiefs die Huldigung der unteren Kasten mit strenger Autorität entgegen und bewahren ein Ritual, bei dem der Entfaltung von riesigen Bast-und Raffiah-Geweben eine magische Bedeutung zufällt.
Die christliche Missionierung hatte Samoa um das Jahr 1830 er reicht und tiefe Spuren hinterlassen. Die Kirche, die wir an jenem Sonntag aufsuchten, war von frommen Polynesiern überfüllt. Die Prediger des Dreieinigen Gottes sind heute fast ausnahmslos Ein heimische. Im Lauf der Zeit erlangte ihr Einfluß auf die Gläubigen eine magische Kraft, wie sie einst den Offizianten der Naturreligion innewohnte. In dieser Umgebung erotischer Unbefangenheit, ja sexueller Ausschweifung mußten sich die angelsächsischen Künder des religiösen Puritanismus und der viktorianischen Prüderie wie in einem Vorhof der Hölle vorkommen.
Die sittliche Unduldsamkeit der christlichen Prediger hat weite Teile des Pazifik gründlich verändert. Das äußerte sich in der Kirche von Apia durch die strikte Kleidungsvorschrift, die die Send botendes Christentums und mehr noch deren tugendhafte Frauen den Eingeborenen für den Besuch des Gottesdienstes vorgeschrieben hatten. Bei allem Respekt vor der Frömmigkeit entbehrte das Schauspiel nicht einer gewissen Komik.
Den Männern hatte man immerhin das Tragen des »Lapa Lapa«-Rocks belassen, aber dessen Stoff mußte makellos weiß sein wie auch die langärmeligen Hemden. Das Umbinden einer Kra watte wurde zur Pflicht gemacht. Noch kurioser präsentierten sich die samoanischen Frauen. Sie waren ausnahmslos in schneeweiße Rüschenkleider gehüllt. Jede von ihnen trug auf dem rabenschwar zen Haar ein blendendweißes Kapott-Hütchen, dessen extravagante Gestaltung am Hofe Ihrer Britischen Majestät wohl als »dernier chic«
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