Die Angst des wei�en Mannes
mögli chen Inselgruppen des Pazifik, aber auch Indonesier und Filipinos leben dort als Arbeitslose oder Arbeitsscheue in relativ erträglichen Verhältnissen dank der großzügigen Sozialgesetzgebung, die die Labour Party hinterlassen hat. Fast sämtliche Geschäfte von Otara sind fest in chinesischer Hand. Bei diesem Ausflug werde ich von Mr. Rajiv begleitet, dessen Familie aus dem indischen Subkontinent zugewandert ist. Angesichts der ärmlichen Unterkünfte der Unter privilegierten, vor deren Eingang jedoch stets ein Auto geparkt ist, läßt der Inder seinen atavistischen Kasten-Instinkten freien Lauf.
Er äußert sich mit Herablassung, ja Verachtung über die gescheiterten Außenseiter der neuseeländischen Wohlstandsgesellschaft. Sogar den Maori begegnet Rajiv mit Arroganz. Die Maori, die stets ihre Muskelkraft spielen ließen, würden allzu oft dem Alkoholismus verfallen. Sie seien kriminell veranlagt und stets zu Schlägereien bereit. Mit diesen Eingeborenen sei besonders schlecht auszukommen, seit sie von den weißen Kiwis als zweite, gleichberechtigte Na tionNeuseelands anerkannt wurden. Neuerdings würden sie sich – zumal gegenüber indischen Expatriates – streitsüchtig und »bossy« aufführen.
Am Rande von Otara bin ich am Ende doch noch auf eine Maori-Organisation gestoßen, die sich auf die kriegerische Tradition des sogenannten »King Movement« beruft und die Angleichung an europäische Sitten nur unter starkem Vorbehalt akzeptiert. In einer Art Marae, einem Versammlungsraum, der den Stil der polynesi schen Behausungen nachahmt, entdecke ich eine Gruppe junger Männer und Frauen, die auf den ersten Blick etwas verschwöre risch und aufsässig wirken.
Mir fällt wieder einmal der beachtliche Leibesumfang dieser Rasse auf, der aber nicht – wie das bei den in Amerika und Europa weitverbreiteten Verfettungen der Fall ist – auf exzessiven Genuß von Junkfood zurückgeht, sondern ein kraftstrotzendes Merkmal ihres Erbgutes ist. Die jungen Leute verstummen respektvoll, als ein mächtiger Mann mittleren Alters mit angegrauten Schläfen den Raum betritt und sich als hochverehrter Vorsitzender zu erkennen gibt.
So ähnlich wie Arini Tukarangi müssen im neunzehnten Jahrhun dert jene Priesterkönige aufgetreten sein, die sich so hartnäckig gegen die weit überlegenen Streitkräfte der Briten behaupteten. In zwischen weiß ich, wie man einen traditionsbewußten Maori be grüßt. Man reibt nicht, wie oft behauptet wird, die Nasen anein ander, sondern führt eine würdevolle Berührung von Nase und Stirn aus. Tukarangi äußert seine Genugtuung, daß ich mit diesem Zeremoniell vertraut bin.
Der Koloß strömt beim ersten Kontakt keine übertriebene Freundlichkeit aus. Er drückt sich auf englisch mit tief grollender Stimme aus. Dann wendet er sich gebieterisch an seine Anhänger. Sein düsterer Gesichtsausdruck deutet an, daß er zu fürchterlichen Wutausbrüchen neigt. Der Maori-Häuptling hat mich gemustert und offenbar als ebenbürtigen Gesprächspartner eingestuft. Beim Erwähnen meines hohen Alters gesellt sich dazu der den Greisen geschuldete Respekt.
Dienationalistisch orientierte Maori-Bewegung hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg in der Ratani-Kirche politisch artikuliert. Inzwischen sind die Ziele weiter gesteckt worden. Für diese reso lute Gruppierung geht es um eine panpolynesische Bestrebung, um den Zusammenschluß all jener Archipele und Inseln, die von pa zifischen Stämmen besiedelt sind und deren Angehörige in großer Zahl nach Neuseeland auswandern, weil ihnen der enge Lebens raum ihrer Atolle nicht mehr genügt. So ist Auckland zur großen polynesischen Stadt geworden.
»Sehen Sie sich die jungen Männer an«, sagt der Häuptling. »Ein Dutzend von ihnen kommt von den Samoa-Inseln, die fünfhundert Kilometer entfernt liegen. Einige andere stammen aus Tonga oder Kiribati, wo fast die gleiche Sprache gesprochen wird wie bei uns. Unser Ziel ist es, das Gewicht unserer Rasse, die auf so unterschied liche Weise von den Briten, den Franzosen, den Amerikanern – kurz fristig von den Deutschen und den Japanern – kolonisiert wurde, zu einer großen Einheit im Stillen Ozean zusammenzufassen.«
Im übrigen, fügt er mit einem grimmigen Lächeln hinzu, »wenn heute allerorts von asymmetrischem Krieg die Rede ist, so haben sich unsere Vorfahren in dieser Form des Partisanenkrieges als wahre Meister bewährt«. Sehr realistisch klingt das alles nicht. Auf den ständigen Strom neuer
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