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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Einwanderer vor allem vom asiatischen Kontinent angesprochen, äußert sich Tukarangi zurückhaltend. Seine Bedenken richten sich vor allem auf die Betriebsamkeit und das Durchsetzungsvermögen der Chinesen.
    An der Wand entdecke ich in englischer Sprache eine Beschwerde des Maori-Führers Karitoka aus dem neunzehnten Jahrhundert, der sich über die Mißachtung des Waitanga-Vertrages und die mutwillige Landnahme durch die Engländer entrüstete. »Wir haben euch Land gegeben«, so heißt es dort, »und ihr gebt uns eine Pfeife. Das war es auch schon. Wir sind betrogen worden. Die Pakeha sind Diebe. Sie zerteilen eine Decke, machen zwei Hälften daraus und verkaufen sie für den Wert einer ganzen Decke. Sie kaufen ein Schwein für ein Pfund in Gold und verkaufen es für drei. Sie bekommen einen Korb Süßkartoffeln für sechs Pence und verkaufen ihnfür zwei Schillinge. So gehen sie mit uns um. Sie bestehlen uns, und dabei bleibt es.«
    Solche anklagenden Töne sind selten geworden, und die fünf Maori-Abgeordneten im Parlament von Wellington würden sich heute ganz anders ausdrücken. Der Chief neigt nicht zur Redselig keit, und ich weiß, daß meinem Versuch, die Maori-Mentalität zu ergründen, enge Grenzen gesetzt sind. Der Abschied gestaltet sich herzlich. Die anwesenden Menschen küssen mich auf die Wangen, und mit den Männern, mit Tukarangi zumal, nehme ich feierlich das Stirn-und-Nasen-Zeremoniell, Hongi genannt, vor. Am Ende reichen wir uns die Hände, bilden einen Kreis, und der Vorsitzende stimmt einen Maori-Gesang an, von dem ich kein Wort verstehe. Er endet mit einem dröhnenden biblischen »Amen«.
Inselschacher im Pazifik
    Der Flug von Auckland nach Melbourne dauert etwa vier Stunden. Tief unter uns dehnt sich die Tasman-See in schwarzer Feindselig keit. Ich fühle mich wohl bei diesen längeren Luftstrecken, die Muße für Entspannung und Nachdenklichkeit bieten. Ich bilde mir nicht ein, mein Ausflug nach Neuseeland habe die Frage erhellt, ob und wie bald sich das Schwergewicht des politischen und strategi schen Weltgeschehens vom Atlantik zum Pazifik verlagern wird.
    Kurz vor meinem Aufbruch hatte ich in Te Atatu, einem ärmli chen Vorort von Auckland, eine kleine protestantische Kirche ent deckt, in der sich eine Gemeinde von etwa hundert Einwohnern der Pazifikinsel Tuvalu zum Gottesdienst versammelte. Sie waren un ter sich, und die Predigt wurde in ihrer Sprache gehalten.
    Warum waren sie nach Neuseeland ausgewandert aus ihrer Heimat, deren neun Atolle mit 11 000 Einwohnern nur über eine Landfläche von 26 Quadratkilometer verfügen? Seit 1978 genießt dieser Mini-Archipel den Status eines unabhängigen Staates und ist als vollwertigesMitglied der Vereinten Nationen anerkannt. Aber was nützt dieser Prestigegewinn? Der winzige Archipel verfügt über geringe Erwerbsmöglichkeiten, zumal eine planlose Bautätigkeit in der Hauptstadt Fongafale die ökologische Gewichtung so verändert hat, daß die landwirtschaftlich nutzbare Fläche zunehmender Versalzung ausgesetzt ist.
    Tuvalu liegt weniger als einen Meter über dem Niveau des Oze ans, und jeder Sturm hat verheerende Überschwemmungen zur Folge. Dazu kommt der vielzitierte Klimawandel, der auch hier Zentimeter um Zentimeter zum Ansteigen der bedrohlichen Flu ten führt. Binnen weniger Dekaden dürfte der Wasserspiegel einen halben Meter höher sein als heute und jede Existenzmöglichkeit er tränken. So manches andere Südseeparadies, von dem die Seefah rer des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts schwärmten, wird dann von der Landkarte verschwunden sein.
    Während die Inseln zu versinken drohen, vollziehen sich in den mächtigen Kontinentalstaaten, die den Pazifik säumen und deren höher gelegene Küsten von einer vergleichbaren Katastrophe ver schont bleiben, Kräfteverlagerungen, die noch vor einer Generation als Phantastereien abgelehnt worden wären. So gewinnt die Volks republik China dem Ozean sogar durch künstliche Erdaufschüttung Raum für zusätzliches Bauland ab. Es wird sich herausstellen, wie nachhaltig die Mentalität, das politische Verhalten des neuen US-Präsidenten Barack Obama, der, im US-Staat Hawaii geboren und aufgewachsen, in Indonesien seine Schulzeit verbracht hat, von die ser geographischen Umorientierung geprägt und beeinflußt wird.
    Eine französische Studie über Umschichtungen im Pazifischen Raum bestätigt, daß die ökonomischen und ökologischen Zwänge bereits dreitausend der elftausend Polynesier von

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