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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Tuvalu zur Emi gration nach Neuseeland veranlaßt haben. Noch dramatischer ist die Abwanderung aus Westsamoa, das ungefähr auf dem gleichen Breitengrad liegt. Auf dieser Vulkaninsel besteht zwar nicht die Ge fahr, allmählich ins Meer abzugleiten, aber den 160 000 Samoanern fehlt es ebenfalls an Lebensraum und Zukunftschancen.
    *
    SeltsameNachwirkungen des imperialen Wahns, dem die weiße Menschheit noch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges hul digte, lassen sich in diesem Raum ablesen. Der Schacher um die di versen Archipele des Stillen Ozeans hat bizarre Spuren hinterlas sen. Nachdem die USA – dem Expansionsdrang ihres Präsidenten Theodore Roosevelt folgend – in einem Blitzfeldzug der spani schen Herrschaft über Kuba und Puerto Rico ein Ende gesetzt und jenseits des Pazifik das »Star spangled banner« über den Philippi nen gehißt hatten, blieben noch ein paar winzige Territorien zum Ausverkauf übrig. Die Atolle Mikronesiens fielen an das wilhelmi nische Reich, das seinen Besitz auf Neuguinea möglichst weit nach Norden abzurunden suchte.
    Zu jenem Zeitpunkt wurden sich London, Washington und Ber lin auch über die Aufteilung Samoas einig. Die größere Westinsel wurde 1899 von den Deutschen annektiert, während die Ostinsel unter die Souveränität der USA geriet. Die Briten wurden mit dem Protektorat über das Königreich Tonga zufriedengestellt, auf das Berlin ein begehrliches Auge geworfen hatte. Den Weltmachtsträu men Wilhelms II. und seinen maritimen Ambitionen entsprechend, wäre Westsamoa vermutlich die Rolle einer Kohlenbunkerstation für die Kaiserliche Flotte zugefallen. Schon hatte das Hohenzol lernreich auf dem asiatischen Kontinent Fuß gefaßt und über dem Hafen von Tsingtau – heute schreibt man Qing Dao – die schwarz weiß-rote Flagge gehißt. Die Halbinsel Shandong sollte damals als Sprungbrett dienen für weitere Expansionen und eine deutsche Be teiligung an der geplanten Aufteilung des Reiches der Mitte.
    Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat allen germanischen Ansprüchen auf Territorien am anderen Ende der Welt ein jähes Ende bereitet. Australische Landungstruppen besetzten im Handstreich Kaiser-Wilhelm-Land auf Neuguinea sowie Neu-Pommern und Neu-Mecklenburg. Die Japaner erstürmten die kleine Festung Tsingtau und errangen kampflos die Oberhoheit über Mikronesien. Dem Commonwealth-Mitglied Neuseeland, das dem britischen Empire in Treue verbunden war, fiel die Aufgabe zu, das deutsche Schutzgebiet Westsamoa zu okkupieren. Nach Unter zeichnungdes Versailler Vertrages wurden die ehemaligen deutschen Kolonien als Mandate des Völkerbundes an die diversen Siegermächte verteilt. Der Außenposten Samoa wurde der Autorität Wellingtons unterstellt, und dieses Mandat der »League of Nations« ging nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Trusteeship der Vereinten Nationen über.
    Eine absurde Laune des Schicksals hatte bewirkt, daß Deutsch land und Neuseeland sich im Sommer 1914 ein paar Stunden lang als Gegner gegenüberstanden und im Zentrum des Pazifischen Ozeans den Konflikt um eine Insel austrugen, von deren Existenz, geschweige denn von deren kurzer deutscher Historie die meisten Bürger unserer heutigen Bundesrepublik nicht die geringste Ah nung haben.
Die Palmenhaine des Deutschen Reiches
    Apia (Samoa), im Sommer 1966
    Ich erinnere mich genau an unsere Exkursion zu jenem abgelege nen Territorium, das den Schriftsteller Robert Stevenson zu seinem Roman Die Schatzinsel inspirierte. Seit dieser fernen Zeit dürfte sich manches verändert haben in Apia, der schläfrigen Hauptstadt von Westsamoa, wo einst der deutsche Gouverneur Wilhelm Solf auf verdienstvolle Weise bemüht war, die polynesische Bevölkerung vor hastiger Überfremdung zu bewahren. Er hätte sich wohl kaum vorstellen können, daß aus seiner kolonialen Minidomäne ein hal bes Jahrhundert nach deren Übernahme durch die Neuseeländer ein unabhängiger Staat Samoa entstehen würde, der 1970 als voll wertiges Mitglied Aufnahme in die Vereinten Nationen fand. Die Behörden von Wellington hatten sich bei aller politischen Libera lität nicht im geringsten um die materielle Fortentwicklung West samoas gekümmert und sich deshalb den Unmut der Eingebore nen zugezogen.
    AlsKuriosum sei festgehalten, daß schon im Jahr 1932, als dem britischen Mandatsgebiet Irak – das bis zum Vertrag von Sèvres dem Osmanischen Reich einverleibt war – auf Drängen Londons eine weitreichende Autonomie sowie die Aufnahme in den Völkerbund

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