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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Aufsehen erregt hätte. Der Höhepunkt unserer Verwunde rung war erreicht, als der fromme Chor ein Kirchenlied anstimmte, dessen Melodie dem von Haydn komponierten Deutschlandlied entliehen war.
    So mancher Charakterzug der Maori findet sich bei den Samoa nern wieder. Das lag am gemeinsamen polynesischen Ursprung und wohl auch an der neuseeländischen Treuhänderschaft. So wurde das Rugby-Spiel mit äußerster Härte ausgetragen und zum Kult erho ben. Neben dem öffentlichen Bekenntnis zur Lehre Christi haben heidnische Urmythen überlebt, und die düstere Entstehungskunde der alten Götter lebt im kollektiven Bewußtsein fort. Der mächtige Bamyan-Baum genießt eine besondere Verehrung, und der Kriegstanz der Samoaner ähnelt dem stampfenden Ha-Ha-Ritual, mit dem die Maori ihren Feinden begegnen. Den Missionaren ist es nicht gelungen, den Einheimischen die Freude an der Tätowierung zu nehmen, die hier vor allem auf dem unteren Rückenteil in schmerzlicher Prozedur vorgenommen wird und einer künstleri schen blauen Ornamentik unterliegt.
DerTod des Missionars
    Pago Pago (US-Ostsamoa), im Sommer 1966
    Der Hafen Pago Pago könnte malerisch sein. Ein wuchtiges Fels massiv, das von dichtem Dschungel überwuchert ist, ragt steil über einer harmonisch gerundeten Bucht, die sich vorzüglich als Flot tenstützpunkt eignet. Doch die menschlichen Siedlungen von Pago Pago, dem Verwaltungssitz von US-Samoa – eine Ansammlung ärmlicher Holzhütten unter Wellblechdächern –, versanken in Müllhalden und Dreck. Jahrzehntelang schien sich der Abfall an gesammelt zu haben. Aufdringliche Reklamesprüche – knallrote Werbung für Coca-Cola fiel besonders ins Auge – thronten über Haufen leerer Konservenbüchsen und zerbrochener Flaschen. Al tertümliche Autokarosserien aus Detroit verrosteten am Wegrand. Die Residenz des amerikanischen Gouverneurs war der einzige an sehnliche Bau in diesem schäbigen Umfeld.
    Um unsere Unterkunft in Pago Pago – man spricht es »Pango Pango« aus – war es wenig besser bestellt. Das Hotel glich einer verlassenen Kaserne. Das polynesische Hotelpersonal trug aben teuerliche Hawaii-Hemden über dem landesüblichen Lapa-Lapa. Es empfing uns mißmutig, fast unhöflich. Die Leute sprachen ein abscheulich verquäktes Amerikanisch.
    Der scharfkantige, steile Hang des erloschenen Vulkans erdrückte die relativ kleine Insel und ihre 60 000 Einwohner mit seinen er starrten Lavamassen. Er trug den Namen »Rainmaker«. Jede Re genwolke, die über den mittleren Pazifik trieb, so hieß es, bleibe an diesem riesigen Riff hängen und entleere ihre Wasserduschen über Pago Pago. Literarische Bedeutung hat das triste Eiland schon vor geraumer Zeit dank einer Novelle Somerset Maughams gewonnen, die unter dem angemessenen Titel »Rain« erschienen war.
    Wir hatten kaum Quartier bezogen und eine mißgelaunte Besichtigungsfahrt auf der verschandelten Ringstraße hinter uns gebracht, da zählten wir auch schon die Stunden, die uns vom Weiterflug nach Tahititrennten. Ich nehme an, daß die US Navy, die in diesem Außenposten amerikanischer Macht die wahre Autorität ausübt, in der Zwischenzeit für ein Minimum an Hygiene und Sauberkeit gesorgt hat. Aber meine negative Wahrnehmung entsprach nicht einer persönlichen Laune. Sie deckte sich mit den Aussagen Somerset Maughams, der hier einer ähnlich depressiven Stimmung verfiel.
    Am kulinarischen Angebot der Insel jedenfalls hatte sich offenbar nichts geändert, denn der englische Autor beklagte sich bereits über die abscheulichen Hamburger, die ihm serviert wurden, »the only dish the cook knew how to make«. Es war jedoch der Regen, der den Gemütszustand des Dr. Macphail in der Short Story »Rain« unerträglich belastet.
    »And Dr. Macphail watched the rain«, so beginnt die Schlüssel passage. »Der Regen ging ihm allmählich auf die Nerven. Es war nicht wie unser milder englischer Regen, der freundlich auf den Boden tropft. Dieser Regen war erbarmungslos und irgendwie schrecklich. Man spürte in ihm die Boshaftigkeit primitiver Natur gewalt. Der Regen fiel nicht, er strömte. Er kam wie eine Sintflut vom Himmel herunter, und er trommelte auf das Wellblechdach mit einer beharrlichen Wucht, die zum Wahnsinn trieb. Der Re gen entfaltete eine ihm eigene Wut, und es schien, als müßte man laut schreien, wenn er nicht einhielt …«
    Die Eingeborenen von Samoa flößten dem ansonsten recht to leranten Arzt Macphail ähnliche Abwehrreflexe ein. Diese angeb lich

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