Die Angst des wei�en Mannes
seiner Ver zweiflung, dem Laster und der satanischen Versuchung erlegen zu sein, hat der Missionar sich selbst mit seinem Rasiermesser die Gur gel durchschnitten und die Gnade Gottes vollends verwirkt.
DieWarnung Neruda s
Die Sturzbäche, die seit Tagen über Pago Pago niedergeprasselt waren, ebbten plötzlich ab, endeten schlagartig, verstummten wie auf den gebieterischen Wink eines unsichtbaren Dirigenten. Die ungewohnte Stille wirkte wie ein Schock, ehe ich sie als Erlösung wahrnahm. Im Hafen lagen zwei graue Zerstörer der US Navy vor Anker. Am schiefergrauen Himmel rissen ein paar blaue Fetzen auf, und durch deren fahle, gelbgerahmte Löcher fiel ein tröstli cher Schein auf das finstere Massiv des Rainmakers.
In etwa drei Seemeilen Entfernung sichtete ich ein mächtiges Schiff unter japanischer Flagge, an dessen Bug ich nur das Wort »Maru« zu entziffern vermochte. Es handelte sich um eine jener schwimmenden Fischfang- und Fischverarbeitungsfabriken, mit denen die japanischen Reedereien ungeachtet aller internationalen Proteste die Weltmeere leerfegten und in den antarktischen Gewäs sern den schrumpfenden Bestand an Walen zusätzlich reduzierten. Das Flaggensymbol der aufgehenden Sonne leuchtete auf dem düs teren Horizont neu aufziehender Wolken wie ein Blutstropfen auf einem Wattebausch.
Im Jahr 1966 strotzte die Supermacht Amerika vor überschäumen der Kraft. Der Stille Ozean stand im Begriff, zu einem gigantischen »Mare nostrum pacificum« der USA zu werden. Das japanische Kai serreich war nach der bedingungslosen Kapitulation von 1945 zum Vasallen geworden. Der spektakuläre wirtschaftliche und techno logische Aufschwung, der sich seitdem im Land der aufgehenden Sonne vollzog, hatte an der strategischen Unterwürfigkeit, in der Tokio gegenüber den USA aus wohlverstandenem eigenem Interesse und hintergründigem Kalkül verharrte, nicht zu rütteln vermocht.
Die Volksrepublik China, der es ein knappes Jahr nach ihrer Geburt mit einem kaum bewaffneten Millionenheer gelungen war, die US Army in Korea zum Rückzug zu zwingen, versank ein Dezennium später in den tosenden Wirren der Großen Kulturrevolution und war vorübergehend jeder Handlungsfähigkeit beraubt. Gleich zeitig steigertesich die Feindschaft zwischen den beiden kommunistischen Kolossen Asiens – China und Sowjetunion – bis an den Rand eines kriegerischen, potentiell atomaren Zusammenpralls, so daß sich in der westpazifischen Randzone ein Zustand beiderseitiger Lähmung einstellte.
An der südwestlichen Flanke des Ozeans garantierten die beiden verbündeten Commonwealth-Staaten Australien und Neuseeland verläßliche, freundschaftliche Abschirmung, zumal die Regierung von Canberra noch an der obsoleten Doktrin »White Australia« festhielt. In der indonesischen Übergangszone zum Indischen Ozean hatte der Putsch des General Suharto verhindert, daß dieser immense Archipel von 1500 Inseln in eine ideologische Konfronta tion mit Amerika – sei sie marxistischer oder islamistischer Natur – abglitt. Vom neutralistischen Grundkonzept der Blockfreiheit, vom Geist von Bandung, zu der sich der Gründer-Präsident Ahmed Su karno gegen heftigen Widerstand aus Washington bekannt hatte, war in Jakarta nicht mehr die Rede.
In Vietnam holten die Streitkräfte der USA – zehn Jahre nach dem Sieg Ho Tschi Minhs über das französische Expeditionskorps – zum Vernichtungsschlag gegen die Kommunisten von Hanoi aus. Präsi dent Lyndon B. Johnson war entschlossen, mit schonungslosen Luft angriffen und der Landung massiver Heeresverbände die Konsolidie rung des labilen proamerikanischen Regimes von Saigon gegen die feindliche Infiltration aus dem Norden zu gewährleisten. Er glaubte, einem imaginären Dominoeffekt der Weltrevolution in ganz Südost asien entgegentreten zu müssen, den schon Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy als Schreckgespenst an die Wand gemalt hatten.
Bei den europäischen, vor allem den deutschen Kommentatoren bestand in der ersten Phase des US-Engagements in Vietnam nicht der geringste Zweifel an einem schnellen amerikanischen Triumph, zumal auf dem begrenzten Territorium zwischen Quang Tri und Camau das kriegerische Aufgebot sich auf eine halbe Million GIs und eine gigantische Zahl von Bombern und Helikoptern hochschraubte.
Mit meiner Warnung vor einem eventuellen Fehlschlag, die sich auf die eigene unmittelbare Erfahrung im desaströsen französischen Indochina-Feldzugstützte, geriet ich in die mir inzwischen
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