Die Angst des wei�en Mannes
erschüttert, wenn die existentielle Krise des angelsächsisch orientier ten Turbokapitalismus und seiner Derivate auf das gefügig angepaßte System der europäischen Banken überschwappen würde.
Der Schiffsarzt hatte sich im November 1971 in Santiago de Chile aufgehalten und – wie ich ihn einschätzte – dem »historischen« Treffenzwischen dem Máximo Líder Fidel Castro und seinem ideologischen Verbündeten Salvador Allende zugejubelt. Mein Rückblick auf dieses Volksfest unter roten Fahnen war weniger überschwenglich, war ich doch aus Uruguay angereist, wo zu diesem Zeitpunkt das revolutionäre Aufbegehren der »Tupamaros« die prächtige, in üppigem Jugendstil erbaute Metropole Montevideo am Río de la Plata in einen gespenstischen Zustand der Lähmung und Verwahrlosung versetzt hatte. Mich hatte mehr das traurige Nachspiel berührt, das sich nach dem Scheitern der revolutionären Träume an der Südspitze Lateinamerikas eingestellt hatte.
Die kurze Volksfest-Euphorie Allendes war unter den Stiefeln der Armee längst zerdrückt worden, als ich im Winter 1976 die Produktion der Fernsehdokumentation »Alle Macht den Solda ten« aufnahm. Mit Genehmigung Pinochets hatte ich am chileni schen Nationalfeiertag die Parade in Punta Arenas filmen können. Die stattliche Provinzhauptstadt liegt unmittelbar an der Magel lan-Straße, dieser engen Passage zwischen Atlantik und Pazifik.
Ich weiß nicht, welche Militärbehörde mir die unverhoffte Ge nehmigung erteilte, auf der chilenischen Westhälfte von Feuerland das Gefangenenlager aufzusuchen, wo die Prominenz des gestürz ten Allende-Regimes – Sozialisten und Kommunisten – inhaftiert war. Die Holzbaracken hinter Stacheldraht, die hohen Wachtürme waren für mich keine ungewohnte Kulisse. Die öde Buschland schaft wirkte besonders desolat an diesem kühlen, nebligen Tag des Austral-Sommers. Wie deprimierend mußte der Aufenthalt in die ser Haftanstalt erst sein, wenn die endlose Düsternis des Austral-Winters auf den Gemütern lastete?
Die Lagerinsassen waren streng diszipliniert in Reih und Glied angetreten, und ich fühlte mich nicht sonderlich. Das Kamerateam war zu diesem Ausflug gar nicht zugelassen worden. Nach einer Weile lockerte sich die Atmosphäre etwas auf. Ich erkannte die Gesichter einiger besonders profilierter Führer der gescheiterten Linkskoalition. Mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chiles, Luis Corvalán, konnte ich ein paar Worte wechseln, und er zeigte mir heimlich einen flachen Stein, auf den er, der athe istischeMarxist, die Leidenszüge Christi mit der Dornenkrone eingeritzt hatte. Dem engen Allende-Vertrauten Le Tellier gelang es sogar, mit zwei Sätzen auf ein Gedicht Pablo Nerudas zu verweisen, das den Titel »Der solidarische Engel« trug.
Unmittelbar nach meiner Rückkehr in die Hauptstadt habe ich mir den Text dieses Poems beschafft. »Er, der Engel«, so hieß es da, »beschützte mich vor der Meute, die mich haßte, vor jenen, die in den Straßen des Verbrechens johlend warteten auf mein Blut.« – Die meisten Lagerinsassen von Feuerland sollten nach zähen inter nationalen Verhandlungen mit der Militärjunta freigelassen und ins Exil verbannt werden. Dem unglücklichen Le Tellier hat jedoch we der dieser Gnadenakt noch die Anrufung seines Schutzengels ge holfen. Nach seiner Ausweisung hatte er seine Agitation gegen das Pinochet-Regime in New York fortgesetzt, und dort traf ihn die mörderische Kugel eines Auftragskillers.
Bevor ich damals in den Hubschrauber kletterte und der Insel Feu erland den Rücken kehrte, waren die Häftlinge noch einmal im Kar ree angetreten, um die chilenische Nationalhymne anzustimmen. Sie taten das mit Inbrunst und Begeisterung, enthielt doch der Schluß vers einen pathetischen Hinweis auf ihre eigene prekäre Situation. Über die Magellan-Straße – gar nicht so weit entfernt vom Beagle-Kanal, den ich dreißig Jahre später an Bord der »Gregory Mekejew« passieren sollte, hallte der trotzige Refrain: »Unser Vaterland Chile, Du wirst die Zuflucht aller Freien sein oder das Grab der Unter drücker … la tumba serás de los libres o el asilo contra la opresión!«
Am Strand der Schweinebucht
Schweinebucht (Kuba), im Februar 2009
Von einem Ausflug nach Guantánamo ist mir lebhaft abgerate n worden. Dieser amerikanische Stützpunkt im äußersten Osten Ku bas, der einen so sinistren Ruf hat, sei weiträumig abgesperrt, und vonkubanischem Gebiet aus wäre nicht einmal ein
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