Die Angst des wei�en Mannes
tiefe, sentimentale Zuneigung, die immer noch weite Teile der ku banischen Bevölkerung, in der Mulatten und Nachfahren afrikani scher Sklaven mittlerweile eine – wenn auch knappe – Mehrheit bil den, an den magischen Revolutionär bindet.
Allen Rückschlägen und Fehlentscheidungen zum Trotz verfügt Fidel weiterhin über ein gewaltiges Prestige. Das gilt nicht nur für Kuba, sondern für ganz Lateinamerika, wo selbst seine entschiede nen Gegner in ihm einen Nachfolger Bolívars oder Mirandas be wundern. Der alte, todkranke Mann, der seine Partisanenuniform gegen einen vulgären Jogginganzug eingetauscht hat, wechselt ständig sein Domizil und meidet die Öffentlichkeit.
Aber wenn dieser Machtmensch das Gefühl hat, sein unscheinba rer Nachfolger Raoul weiche allzu auffällig vom radikal-revolutio nären Weg ab, dann vernimmt man aus dem Krankenzimmer sein warnendes Grollen, und der Bruder fügt sich den Weisungen. Als die Präsidentinnen von Argentinien und von Chile nach Havanna reisten, um diesem Monument lateinischer Befreiung vom Joch der »Yankees« zu huldigen, obwohl sie ihm ideologisch nicht sonder lich nahestehen, raffte sich der routinierte Charmeur noch einmal auf und erschien seinen Besucherinnen mit einer geistigen und kör perlichen Lebhaftigkeit, die ihm keiner mehr zugetraut hätte.
Die Atmosphäre in Havanna erinnert mich bei aller Gegensätz lichkeitder Temperamente und Kulturen an die lähmende Stimmung, die sich Pekings bemächtigt hatte, als Mao Zedong im Sterben lag und sein »Auftrag des Himmels« erlosch. Elf amerikanische Präsidenten hat Fidel Castro überlebt, aber seit dem letzten Führungswechsel im Weißen Haus von Washington ahnt wohl dieser erfahrene politische Dinosaurier, daß in dem übermächtigen Nachbarland mit der Inauguration des neuen Präsidenten Barack Hussein Obama am 20. Januar 2009 ein politischer Erdrutsch, eine sensationelle Umkehr stattgefunden hat, die auch für die Stabilität seines eigenen Regimes unkalkulierbare Folgen nach sich ziehen wird.
Es war ja so viel leichter, gegen einen Präsidenten vom Schlag George W. Bushs Front zu machen, der selbst bei den eigenen Landsleuten als Kriegstreiber und Heuchler in Verruf gekommen war, als gegen einen liberalen Farbigen zu Felde zu ziehen, dem die ganze Welt zu Füßen liegt und der – sehr viel schneller, als man in Havanna erwartete – auch gegenüber Kuba eine großzügige Kurs änderung andeutet und offenbar auf die überflüssigen Blockade methoden seiner Vorgänger verzichten möchte. Eine solche Lo ckerung und Öffnung – das spürte der ermattete Befehlshaber der »Barbudos« – würde sich für die Selbstbehauptung des von ihm errichteten Zwangsregimes weit negativer und zersetzender aus wirken als die ermüdenden Haßtiraden und die kleinlichen Wirt schaftsschikanen, in die sich die Neokonservativen verrannt hatten.
Schon hört man in Washington, daß den in USA lebenden Kuba nern uneingeschränkte Ausreisegenehmigungen in ihre alte Hei mat erteilt und der Besuch ihrer Familienangehörigen jenseits der Straße von Florida erlaubt würde. Am Ende einer solchen massiven Familienvereinigung, einer solchen Sippen-Symbiose, könnte die bei den Kubanern stets ausgeprägte paradoxe Zuneigung für den Lebensstil der Yankees – man denke nur an die Leidenschaft für das Baseball-Spiel, das auch Castro teilt – wieder zum Zuge kommen. Die Attraktivität der Konsumgesellschaft würde ein übriges tun.
Andererseits stellt sich die Frage, ob die unterschwellig vorhandene Bewunderung des »American way of life« nicht kompensiert wirddurch eine unaufhaltsame Kubanisierung und Hispanisierung Floridas, die infolge der massiven Präsenz großer Immigrantenkolonien bereits weit gediehen ist. Der ungehemmte Zustrom von Neueinwanderern nach Öffnung der US-Grenzen könnte eine folgenschwere ethnisch-kulturelle Umschichtung zugunsten der Latinos nach sich ziehen, eine »Reconquista«, die heute bereits zwischen Río Grande und Hudson River um sich greift.
Der sozialistische Umsturz auf Kuba hatte bewirkt, daß die all mächtige Oligarchie spanischer oder baskischer Einwohner, das heißt solcher rein europäischen Ursprungs – soweit sie nicht aus wanderte –, ihre exklusive, führende Position einbüßte und der Gleichberechtigung, ja der Bevorzugung der bislang unterprivile gierten Bevölkerungsmehrheit der Farbigen Rechnung tragen mußte. Dabei stellte man mit etwas Verwunderung fest, daß die oberste
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