Die Angst des wei�en Mannes
Ausblick auf die Baracken und Käfige der dort inhaftierten »Terroristen« zu erha schen. So habe ich mich für ein anderes Ziel entschieden, dessen historischer Bedeutung sich die wenigsten erinnern dürften, ob wohl der kuriose Name »Bahía de los Cochinos« oder »Schweine bucht« sich einprägen sollte.
Am 17. April 1961 war hier der Versuch Washingtons gescheitert, die sozialistische Revolution, die Fidel Castro kaum drei Jahre zu vor ausgerufen hatte, durch eine von der CIA intensiv, aber dilet tantisch geplante Invasion aus den Angeln zu heben. An der Kuba krise von Oktober 1962 gemessen, als die beiden Supermächte des Kalten Krieges nach Stationierung sowjetischer Raketen auf der Zuckerinsel am Rand eines Atomkrieges standen, mag die Landung von 1400 Exilkubanern am Strand von Girón wie eine belanglose Episode erscheinen.
Ihre Nachwirkungen dürfen jedoch nicht unterschätzt werden. Dem elementaren Überlebensinstinkt Chruschtschows und John F. Kennedys war es zu verdanken, daß es beim kubanischen Raketen-Poker nicht zur nuklearen Apokalypse kam. Statt dessen wurden damals zwischen Washington und Moskau die Spielregeln eines Kompromisses, ein Verhaltenskodex vereinbart, der jeder unkon trollierten Ausweitung oder Verschärfung des Konflikts zwischen Ost und West präzise Grenzen vorschrieb. Das Fiasko der amerika nischen Intervention an der Schweinebucht wirkt hingegen lang fristig nach.
Der von Eisenhower geplante und von Kennedy leichtfertig aktivierte Überfall, der sich – in sträflicher Unkenntnis der damals noch ungebrochenen Revolutionsbegeisterung der Bevölkerung – auf eine kubanische Massenerhebung gegen Fidel stützen sollte, war ebenso blamabel gescheitert wie alle anderen Versuche der CIA, den Máximo Líder durch vergiftete Zigarren und andere Scherzartikel ins Jenseits zu befördern. Ansonsten war es dem amerikanischen Geheimdienst und den von ihm finanzierten Contra-Gruppen immer wieder gelungen – sei es in Guatemala, in El Salvador, in Nicaragua, in Kolumbien, in Uruguay, in Chile –, ein Abgleitendieser Staaten ins Lager des radikalen Sozialismus zu konterkarieren oder im Keim zu ersticken.
Aber auf Kuba hat ein mit Moskau paktierender Zwergstaat von zehn Millionen Menschen demonstriert, daß aufsässige Latinos, die nur durch eine schmale Meerenge von den »Estados Unidos del Norte« und deren ungeheurem Rüstungsarsenal entfernt leben, bereit waren, ein halbes Jahrhundert lang den Sanktionen und Ein schüchterungen der weit überlegenen »Yankees« standzuhalten und sogar zur Ausweitung der proletarischen Weltrevolution starke Truppenkontingente von »Internacionalistas« in mehrere heiß um kämpfte Staaten Afrikas zu entsenden.
Manches erinnert auf Kuba an die ehemalige DDR, wie mir mein Gefährte Udo Haase bestätigt. Seit meinem letzten Aufenthalt in Havanna vor einem Vierteljahrhundert hat sich an dem tragischen Verfall des einstigen Prunkstücks spanischer Kolonisation wenig geändert. Ein Polizeistaat ist dieses »sozialistische Modell« eben falls geblieben, auch wenn sich jeder Vergleich mit dem surrealis tisch anmutenden Größenwahn und Personenkult Nordkoreas ver bietet. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln reicht aus, um zu überleben. Aber die individuellen Rationen, die in Ver sorgungsheften abgestempelt werden, liegen weit unter dem Ni veau, das das Dritte Reich noch bis zum Ende des Krieges seinen ausgebombten Untertanen bieten konnte.
Überraschend groß ist die Zahl der westlichen Touristen auf der Karibikinsel, meist Kanadier und Deutsche. Für US-Bürger ist das von Washington verhängte Einreiseverbot weiterhin in Kraft. Aber es zeigen sich bereits die ersten Risse im System. Während es für den normalen Kubaner außerhalb der mageren Rationen praktisch nichts zu kaufen gibt, stehen den Urlaubern reichhaltig ausgestat tete Devisenläden zur Verfügung.
Das Nebeneinander von zwei Währungen, eine wertlose »monnaie de singe« für die Einheimischen und ein auf Dollar und Euro ausgerichteter Peso Convertible für die privilegierten Fremden muß zwangsläufig den Überdruß an dem eigenen, hochgepriesenen System steigern. Die Anhänger Castros hätten doch gerade in der jetzigenPhase eines globalen Niedergangs des Kapitalismus die Chance gehabt, ideologisch aufzutrumpfen und auf die angeblichen Wohltaten ihres sozialistischen Systems zu verweisen. Statt dessen präsentiert sich das fehlgeleitete Experiment des karibischen Marxismus als
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