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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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die neue »Destiny« der Vereinigten Staaten von Amerika verkörpert, die sich auf den Pazifik ausrichten würde, so ist das wohl ihr 44. Präsident. Ich berufe mich auf amerikanische Zeit zeugen,wenn ich mich dem Einfluß widmen will, den dieser als Naturwunder gefeierte Archipel auf den jungen Barack Obama ausgeübt hat. Daß auf der Insel Oahu, auf der Honolulu gelegen ist, nicht nur Hula Hula getanzt und sorglos in den Tag gelebt wurde, hatte bereits Seefahrer James Cook erfahren müssen. Mit dem kriegerischen Instinkt der Maori auf Neuseeland war James Cook relativ gut zurechtgekommen, aber die Eingeborenenstämme von Hawaii wurden ihm zum Verhängnis. Im Jahr 1779 geriet er in den Hinterhalt einer ganzen Flotte von Kriegskanus und fand im Kampf mit den Eingeborenen den Tod.
    Was Obama in Wirklichkeit in sich aufgenommen hat, sei der »Aloha spirit«, so beschreibt es wenigstens Noel Kent, seines Zei chens Professor für ethnische Studien an der Hawaii-Universität Manoa, der seit dreißig Jahren die Psychologie des multikulturel len Archipels wissenschaftlich untersucht. »Obama hat mehr von der Mentalität Hawaiis in sich aufgenommen als von den Eigenhei ten Chicagos«, behauptet der Dozent; »das zeigt sich, wenn er sich kühl und konzentriert zurücklehnt.«
    Der heutige Präsident habe sich auf Oahu jene unaufgeregte Ge lassenheit zugelegt, die für die Aloha-Geisteshaltung typisch sei. Der demokratische Abgeordnete Neil Abercrombie, der Hawaii im Repräsentantenhaus von Washington vertritt und Obama von An fang an wohlwollend begleitete, betont ebenfalls das beherrschte, ausgewogene Auftreten, die Fähigkeit, Ruhe zu wahren und Ruhe zu stiften, die für Hawaii typisch sei. Von der Aloha-Mentalität heißt es, sie zeichne sich durch die friedfertige Akzeptanz unter schiedlicher Ideen und Kulturen aus. Von ihren Ursprüngen her seien die Hawaiianer von dem Glauben durchdrungen an eine gött liche, spirituelle Kraft, aus der alle Lebensenergie hervorgehe.
    Seine japanische Mitschülerin Lois-Ann Yamanaka hat diese rassische Alchimie etwas anders formuliert. Für sie, deren Vorfahren schon sehr früh von Nippon eingewandert waren, galt »Barry« nicht als wirklicher »local boy«, weil ein solcher seit Generationen auf dem Archipel beheimatet sein müsse. Sie habe ihn, wie sie schreibt, als echten Insulaner erst akzeptiert, als sie ihn bei seinem letztenUrlaub auf Hawaii beim Surfen beobachtete. Da habe er sich als Wellenreiter mit der stolzen Gelassenheit, mit der geschmeidigen Eleganz von der Brandung tragen lassen, sei schwerelos auf den Wellen geritten, wie das sonst nur einem »local boy« angeboren sei.
    Es mag krampfhaft klingen, eine Beziehung herzustellen zwi schen dem Kapitän Ahab der frühen pazifischen Legende, der bei seinem Schicksalskampf mit dem Bösen den eigenen Dämonen verfiel, und dem jungen Afroamerikaner, der in den Wogen des Ozeans – ungetrübt von irgendwelchen monströsen Visionen – seine Lebensfreude und seine schier unerschütterliche Zuversicht auslebt.
    Aber dieser Außenseiter im Weißen Haus – »der Mann ist eine Insel« –, der alle ererbten und anerzogenen Normen Amerikas sprengt, wird am Ende daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, das Grauen und den Fluch zu besiegen, die aus den Folterzellen von Guantánamo, aus der Trümmerlandschaft von Faluja, aus dem zer borstenen Mammon-Tempel von Wall Street diese großartige Na tion und ihre Gründungsideale mit einem Geruch von Verwesung und Fäulnis zu überziehen drohen. Es wird ein neues Amerika sein, »another country«, auf dessen enge Partnerschaft die Europäer zwangsläufig angewiesen sind.
    Aber schon werden Risse sichtbar, wenn dieser Abkömmling eines afrikanischen Moslems seine Annäherung an den Islam so weit treibt, daß er – wie sein übel beleumundeter Vorgänger George W. Bush – in Istanbul, in der Hagia Sophia zumal, die einmal das im ponierendste Bauwerk der orientalischen Christenheit war, für eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union plädiert, ohne de ren Staatslenker überhaupt konsultiert zu haben. Die Zeit naiver Verherrlichung und blinder Ergebenheit in den transatlantischen Beziehungen gehört der Vergangenheit an. Wer möchte heute noch das Lied aus den ersten Nachkriegsjahren anstimmen: »Nach Ari zona und Arkansas, wo früher mal der Rote Mann saß, da wollen wir alle hin«? Eine andere Schnulze beschrieb Hawaii damals als eine »Insel aus Träumen geboren«. Diese Verkitschung

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