Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
Sie würden auf den richtigen Augenblick warten. Und wem es als Erstem gelang, freizukommen, der würde es tun, ohne Zögern.
Jetzt!
Er hörte Minnie und bemühte sich freizukommen. Er schrie Adam an, wehrte sich und verlangte, freigelassen zu werden. Minnie tat dasselbe.
Adam wurde schwächer. Minnie schlüpfte hinaus.
Nicht zögern! Minnie. Tu es!
Ben sah zu, wie sie die Waffe gegen sich selbst richtete. „Du bist meine beste Freundin, Jaye. Ich lasse nicht zu, dass er dir was tut.“
Dann drückte sie ab.
68. KAPITEL
Acht Wochen später,
French Quarter.
Der Frühling war eingezogen in New Orleans. Obwohl der Winter 2001 als einer der kältesten in die Annalen einging, standen die Azaleen in Blüte und die Bäume wie durch Zauberhand in Knospen.
Anna sog die warme duftende Luft tief ein und schloss die Finger um Quentins Hand. Sie waren mit Jaye und dem gesamten Malone-Clan am Jackson Square zum Brunch gewesen und hatten sich nicht nur an dem Tag und der gegenseitigen Gesellschaft erfreut, sondern auch an der Parade staunender Touristen.
In gewisser Weise fühlte sich Anna wie sie. Jeden Tag staunte sie darüber, dass sie unbekümmert leben konnte. Ihre Angst lauerte nicht mal mehr als Beklommenheit in ihrem Unterbewusstsein. Dafür war sie unendlich dankbar.
Der Letzte aus Quentins Familie hatte sich gerade verabschiedet, und nun wollte auch Jaye gehen. Sie küsste Anna auf die Wange. „Ich muss los. Fran geht mit mir ins Einkaufscenter. Bei Abercrombies ist Ausverkauf.“
Anna schmunzelte über Jayes offenkundige Freude. „Du kommst in letzter Zeit gut mit deiner Pflegemutter aus, was?“
Jaye hob keck lächelnd kurz eine Schulter. „Sie ist gar nicht so übel.“
Fran Clausen hatte bei Jayes Rückkehr vor Freude geweint und sie um Verzeihung gebeten, dass sie angenommen hatte, sie sei weggelaufen. Ihre Tränen hatten Jaye viel bedeutet. Reifer geworden, hatte sie angesichts ihrer früheren Eskapaden für das Misstrauen ihrer Pflegeeltern jedoch Verständnis gezeigt.
Die Entführung hatte sie deutlich verändert. Sie war toleranter und umgänglicher geworden. Die Nähe des Todes schien ihr bewusst gemacht zu haben, wie schön und wertvoll das Leben war.
„Ich liebe dich, Kleines“, sagte Anna leise und umarmte sie. „Viel Spaß.“ Während sie Jaye davongehen sah, hakte sie sich bei Quentin unter. „Es ist ja so ruhig.“
Er lachte. „Dem Himmel sei Dank. Meine Familie kann ganz schön anstrengend sein, wenn alle zusammen sind.“
„Ich mag sie“, erwiderte Anna amüsiert. „Jeden Einzelnen und alle zusammen. Du bist ein Glückspilz, weißt du das?“
Er blieb stehen und sah ihr in die Augen. „Klar, weil ich dich gefunden habe.“
Gerührt stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. „Danke, Detective Malone, ich fühle mich auch wie ein Glückspilz.“
Sie gingen weiter. „Ich war heute bei Terry“, erzählte er.
„Wie geht es ihm?“
„Nicht besonders. Er hat Pennys Umzug nach Lafayette ziemlich schwer genommen. Aber die Therapie scheint ihm gut zu bekommen. Es wird eine langwierige Sache werden.“ Voller Zuneigung fügte er hinzu: „Aber Terry hat es sich ja nie leicht gemacht.“
Sie drückte ihm den Arm. „Es hilft ihm, dass du für ihn da bist.“
„Das sind wir alle. Auch Tante Patti. Sie erkundigt sich jeden Tag bei ihm, wie es läuft, und will ihn wieder bei der Arbeit sehen, sobald die Therapie abgeschlossen ist.“ Sie gingen eine Weile schweigend, dann fragte er: „Also, Starautorin, wie geht es mit dem neuen Buch voran?“
Er nannte sie so, seit sich drei große Verlage mit Angeboten für ihr neues Buch gegenseitig übertrumpft hatten. Ihr neuer Verleger war überzeugt, dass ihr Roman den Vorschuss wieder einbrachte. Auf Grund ihrer Vergangenheit rechnete man mit reißendem Absatz. Sie heckten bereits ihre Werbetour aus, dabei hatte sie kaum mit dem Schreiben begonnen.
„Großartig. Und mit meinem neuen Lektor ist wunderbar zu arbeiten.“
Sie konnte selbst kaum glauben, dass sie Fernseh- und Radiointerviews über ihre Kindheitserlebnisse geben würde, der Öffentlichkeit schutzlos preisgegeben, und keine Angst mehr davor hatte.
Nie wieder würde sie sich vor dem Leben verstecken. Leben bedeutete schließlich, Risiken eingehen, das Gute wie das Schlechte hinnehmen und alles dazwischen.
Als ihr Haus in Sicht kam, stieß sie Quentin in die Seite. „Übrigens, wer von uns ist hier wohl der Star? Wer wurde denn zum Jurastudium an der
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