Die Angst spielt mit
besorgt fest. “Du warst doch nicht ohnmächtig oder sonst etwas, während ich weg war?”
Ich war sonst etwas, dachte er reuig, schüttelte jedoch den Kopf.
“Vielleicht solltest du dich ein paar Minuten hinlegen.” Sie nahm bereits Michaels Bücher weg, um Platz für ihn zu schaffen.
“Nein”, sagte Kevin mit scharfer Verzweiflung. “Ich wollte gehen.” Aber er rührte sich nicht. Er brauchte noch ein paar Minuten, um wieder er selbst zu werden.
Maggie räumte weiter Michaels Bett ab. Wieso war sie dermaßen dafür bestimmt, verlassen zu werden? Männer wollten nie die Veronicas dieser Welt verlassen. Was machte diese Frauen so anders? Abgesehen von ihrem Sex-Appeal?
Sie stellte die Bücher ihres Sohns zurück auf das Regal, als ihr ein nicht vertrautes auffiel.
“Elizabeth Barrett Browning?”, murmelte sie.
“Was hast du gesagt?”, fragte Kevin.
Sie warf ihm einen Blick zu. “Ein Gedichtband. Elizabeth Barrett Browning.” Sie öffnete es und stieß einen langen, leisen Pfiff aus. “Kevin, sieh dir das an!”
Er trat zu ihr und betrachtete die Widmung. “Für Parker. Wegen all der Arten, die ich zählen kann. Auf immer, Arlene.”
“‘Wie ich dich liebe? Lass mich die Arten zählen’“, sagte Maggie aufgeregt.
Kevin warf ihr einen seltsamen Blick zu.
Sie lachte. “Das ist ein Gedicht.” Sie blätterte in dem Buch. “Siehst du?”
Kevin entschied, dass dies die Nacht seiner Demütigung war. “Richtig. Sicher. Ein Gedicht.”
Maggie runzelte die Stirn. “Michael muss es zusammen mit der Pfeife gemopst haben.”
“Warum sollte ein dreizehnjähriger Junge einen Gedichtband haben wollen?”
“Er wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass es Gedichte sind.” Sie zögerte, ehe sie fortfuhr: “Das Hobby seines Dads ist das Sammeln von Erstausgaben. Vielleicht dachte Michael, das Buch sei wertvoll, weil es alt ist, und er wollte Punkte machen, indem er es seinem Dad schickt. Ich fürchte, Rob hat sich seit unserer Trennung nicht besonders um die Kinder gekümmert. Und jetzt ist es natürlich noch schlimmer, da wir hier sind und Rob noch immer in Harmon ist.”
“Es geht mich ja nichts an, Maggie, aber du bist hoffentlich nicht zu hart zu Michael, weil er das Buch genommen hat.”
Sie hörte heftiges Mitgefühl für ihren Sohn in Kevins Stimme und verspürte erneut ungewollte Gefühle.
“Meine Eltern haben sich getrennt, als ich Kind war”, sagte er ruhig. “Mein Dad hat sich auch nicht viel gekümmert. Vor und nach der Scheidung. Ich glaube, er hat sich nie viel aus Kindern gemacht. Wir ketteten ihn an, waren ihm im Weg, kosteten ihn Zeit und Geld.”
“Tut mir leid, Kevin, ich hatte keine Ahnung.”
“Es war ziemlich bitter, aber ich habe es nie gezeigt. Ich dachte, wenn ich meine Gefühle enthüllte … nun ja … Ich wollte nicht, dass die Leute mich bemitleiden. Ich habe alles unter Verschluss gehalten. Aber an manchen Abenden, wenn ich sicher war, dass Daisy und meine Mom fest in ihren Zimmern schliefen, weinte ich mir die Seele aus dem Leib – fühlte mich verletzt, allein, schuldig. Ich hatte das Gefühl, er hätte uns nicht verlassen, wenn ich ein besserer Sohn gewesen wäre – mehr der Sohn, den er sich wünschte.”
“Das hatte nichts mit dir zu tun”, sagte Maggie besänftigend.
“Ja, jetzt verstehe ich das. Aber erkläre das einem unsportlichen Kind, dessen Vater nach Sport verrückt ist.” Kevin wunderte sich über sich selbst. Er sprach sonst nie so, nicht mit seiner Mutter oder seiner Schwester Daisy. Er hatte es nicht einmal Emily Newman erzählt, seinem längst verschwundenen Mädchen, das er hatte heiraten wollen, bis er entdeckte, dass sie einen Verlobten zu viel hatte … und er war der überzählige gewesen.
Impulsiv drückte Maggie seine Hand. “Ich werde es Michael nicht schwermachen”, flüsterte sie.
Sie schwiegen eine Weile, und ihre Hand lag noch immer in seiner. Irgendwie fühlte sich diese Berührung intimer an als ihre früheren Küsse. Jetzt waren es nicht zwei Theaterfiguren, die sich berührten, sondern zwei echte Menschen.
Als Maggies Griff sich verstärkte, zog Kevin sie näher an sich. Doch sie wollte seine Aufmerksamkeit aus einem anderen Grund.
“Kevin, sieh dir dieses Schildchen an. Dieses Buch wurde in Boston gekauft. Ich frage mich, ob Parker Anderson von dort kam. Vielleicht gibt es noch Freunde oder Kollegen, die ihn kannten, als er an der Merrill-Entführung arbeitete.”
“Das wäre möglich.”
Maggie
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