Die Angune (German Edition)
sie sich umdrehte, sah sie, dass die Erwachsenen, die sich bei Melissindas kleiner Hütte versammelt hatten, noch immer da waren und ihr zuwinkten. Erst oben auf der kleinen Anhöhe machte auch Ligeria kehrt, und lief hüpfend zu den Erwachsenen zurück. Ein letztes Mal blieb Cornelia stehen und winkte der Gemeinschaft der kleinen Leute zu. Dann drehte sie sich um, und als sie auf der anderen Seite die Anhöhe hinunter ging, verschwand das Tal der Zwerge aus ihrem Blickfeld.
Während vier Tagen folgte sie dem Fluss Tarido das Tal hinunter.
Auf einem guten, flachen Wanderweg, so wie Cornelia sie zu Hause vorfand, wäre sie an einem Tag durchaus 40 Kilometer weit marschiert. In dieser Wildnis aber gab es keine Wanderwege, und ihre archaischen Wildlederstiefel waren nicht mit den modernen HiTech-Wanderstiefel von zuhause zu vergleichen.
Als sie am dritten Tag eine schmale enge Schlucht durc hquerte, endete auch der Wald mit den riesigen Bäumen. Ab hier war der Oberboden weitestgehend abgetragen und eine steinige Landschaft erlaubte nur noch kleinen Nadelbäumen und birkenartigen Bäumchen ein Überleben. Sie schossen überall aus dem Geröll und erschwerten das Vorwärtskommen erheblich. Auf dem steinigen Untergrund musste sie sich im Zickzack ihren Weg durch die Vegetation suchen.
Schlussendlich erreichte sie aber doch die Stelle wo der Schwarze Fluss, von rechts kommend, in den Tarido lief. Hier sollte sie das neue Tal hinauf gehen, dem Schwarzen Fluss entgegen. Über einen kleinen Pass würde sie dann ins Hoc hland von Quât'ra kommen, und nach weiteren 10 Tagen Rinu'usala erreichen, der einzigen größeren Stadt in dieser Gegend.
Knapp oberhalb der Stelle wo der Tarido den Schwarzen Fluss aufnahm, befand sich eine Untiefe. Mehrere Bänke aus Kieselsteinen ragten aus dem Wasser, und die Wasserwege dazwischen waren wohl breit aber nicht sehr tief. Cornelia zog ihre Stiefel und Fußwickel aus, krempelte die Hose hoch und watete durch den Tarido. Das Wasser war eiskalt und Cornelia war froh, als sie das andere Ufer erreichte.
Die beiden ersten Tage im Tal des Schwarzen Flusses w aren herrlich. Einen solch kräftig blauen Himmel konnte man wirklich nur im Hochgebirge erleben. Die Nächte waren kalt, aber das machte Cornelia nichts aus. Sie fand jeden Abend haufenweise trockene Kiefernnadeln um sich ein trockenes Nachtlager zu errichten. Und unter der Wolldecke und dem gewachsten Baumwollmantel fand sie genügend Wärme um tief und ruhig zu schlafen. Abends um sechs schlug sie ihr Nachtlager auf, und morgens um vier, wenn die ersten Sonnenstrahlen die höchsten Bergspitzen streiften, stand sie wieder auf und ging weiter.
Am dritten Tag schlug das Wetter um. Zuerst bemerkte Cornelia im Laufe des Morgens kleine Nebelfelder, die in den Tälern zwischen den Bergriesen entstanden. Um die Mittag sstunde verdichteten sich diese Nebelbänke und wurden grösser. Am Himmel tauchten Schäfchenwolken auf. Am frühen Nachmittag bildeten sich die ersten Wolkenfetzen über und vor den Bergspitzen. Die große Sonne hatte sich längst hinter einem grauen Schleier zurückgezogen, und es war bedeutend frischer geworden. Dann verschwanden die kleinen Nebelfelder in den Tälern. Dafür wurde die niedrige Wolkendecke immer dunkler. Ein erster heftigerer Windstoß streichelte Cornelias Wangen.
Sie fing an, sich wegen dieses Wetterumschwungs Sorgen zu machen. In den Alpen hatte sie einmal einen solchen We tterumschwung miterlebt. Der Bergführer hatte ihr damals empfohlen, den leichten Wanderrucksack über den Kopf zu halten. Kurz darauf waren mandarinengroße Hagelkörner herunter gekommen. Zuerst hörte man ein zischendes Geräusch und dann klatschte das Geschoß in den weichen Boden. Glücklicherweise war niemand getroffen worden. Sie hatten alle das Tal erreicht. Klitschnass, aber unverletzt.
Und genau diese Erfahrung machte ihr Sorgen. Damals, in den Alpen, hatten sie den Abstieg in zwei Stunden hinter sich gebracht und eine rettende Scheune erreicht bevor das Unwe tter richtig losging. Aber hier, in diesem fremden Land, gab es weit und breit kein Haus. Außerdem wollte Cornelia bei einem drohenden Gewitter nicht zwischen all den Bäumen stehen bleiben. Vielleicht fand sie einen Unterschlupf unter einem Felsen.
Und so verließ Cornelia das Flussufer und stieg die Talso hle empor zum Berghang.
Die Wolken waren in der Zwischenzeit dunkelgrau gewo rden, und ein erster entfernter Donner rollte leise grollend durch das Tal. Das
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