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Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust

Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust

Titel: Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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gehört. Leute, die anfänglich unverfroren über ihre entsetzlichen Verbrechen gelogen hatten, dann aber plötzlich zu Gott fanden, weil sie das strenge Urteil des Richters fürchteten. Doch ich musste zugeben, dass Antwain Otis’ Geschichte für mich einleuchtend klang.
    Mit Unterstützung eines Priesters aus der Stadt hatte er im Juni 2001 eine neue Gefängnisgemeinde ins Leben gerufen, die den Namen »Du bist zu mir gekommen« trug. Otis’ Akte enthielt die Lebensläufe von vierundzwanzig Insassen und Exinsassen, die gemeinsam mit Otis im Zuchthaus von Marymount einsaßen oder eingesessen hatten, einige davon im Todestrakt, andere im normalen Vollzug, die meisten von ihnen Schwerverbrecher. Die Lebensläufe bestätigten – wie nicht anders zu erwarten –, welch positiven Einfluss Otis und seine Gemeinde auf sie hatte. Antwain Otis hatte sie zu Gott geführt, hatte sie die Kraft von Glaube und Vergebung gelehrt, hatte ihnen einen neuen Weg gezeigt. Elf von diesen vierundzwanzig waren inzwischen entlassen worden und keiner
von ihnen war seit dieser Zeit wieder straffällig geworden – eine bemerkenswerte Statistik angesichts der besonders hohen Rückfallquote bei Gewaltverbrechern.
    Aber das änderte alles nichts an der Tatsache, dass wir uns im Wahljahr befanden, in dem sich kein demokratischer Gouverneur gerne nachsagen lassen wollte, zu lasch gegenüber dem Verbrechen zu sein. Es änderte nichts an der Tatsache, dass der Mann unzweifelhaft Schuld an den Verbrechen trug, für die man ihn verurteilt hatte. Und es änderte außerdem nichts an der Tatsache, dass Otis ein schwarzes Gangmitglied war, das eine junge, attraktive, weiße Frau und ihren kleinen Sohn getötet hatte.
    Dem Gouverneur standen bei seinen Aufenthalten in der Stadt diverse Büroräume zur Verfügung, die er ständig nutzte. Ich fragte mich manchmal, ob er überhaupt je in seinem Haus oder bei seiner Familie in der Hauptstadt war. Ich wurde in eines dieser Büros bestellt, einen langen, schmalen Raum mit billigen Möbeln, senfgelben Wänden und unbequemen Stühlen. Gouverneur Carlton Snow und Bill Peshke unterhielten sich leise, als ich eintrat. »Hi, Jason, setzen Sie sich zu uns«, lud mich der Gouverneur ein, bevor er die Unterredung mit seinem PR-Spezialisten fortsetzte.
    »Okay«, sagte er schließlich, klatschte die Hand auf den Tisch und drehte sich zu mir. Wir bildeten ein Dreieck, der Gouverneur an der Stirnseite des Tischs, Peshke und ich an den Längsseiten rechts und links von ihm. »Antwain Otis. Hat er es getan?«
    Das brachte mich für einen Moment aus dem Konzept. Erst dachte ich, es wäre eine Art Gesprächseröffnung, aber offensichtlich war es eine völlig ernst gemeinte Frage. Wusste er denn gar nichts über diesen Fall?

    »Ja, er hatte die Verbrechen gestanden. Er hat zwei Menschen bei einem Raubüberfall getötet, eine Frau und ihren Sohn.«
    Peshke mit seiner Haarsprayfrisur und seinem auf Hochglanz polierten Äußeren notierte sich das und erkundigte sich nach Details wie Namen und Alter der Personen. Er würde später mit der Presse reden. Daher brauchte er diese Informationen.
    »Also, um was geht’s hier?«, wollte der Gouverneur wissen. »Gibt es irgendwas, das für diesen Kerl spricht?«
    »Er predigt seinen Mitgefangenen den christlichen Glauben. Das Gnadengesuch argumentiert, er habe dabei Gutes bewirkt und wir sollten ihn im Gefängnis lassen, damit er damit fortfahren kann. Eine ganze Reihe von Menschen behauptet, dieser Mann habe ihr Leben verändert und ihnen zum ersten Mal so etwas wie Hoffnung gegeben.«
    Der Gouverneur wartete offensichtlich darauf, dass ich fortfuhr. Da ich nichts mehr sagte, schaute er hinüber zu Peshke. Die beiden blickten sich an; und ohne Gedankenleser zu sein, schloss ich, dass sie nicht sonderlich beeindruckt waren. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass sie keine Ahnung von dem hatten, was in dieser Akte stand.
    »Also ein Doppelmord«, sagte Peshke. »Eine junge Frau und ihr Sohn?«
    »Ja.«
    »Keine Zweifel an der Schuldfrage?«
    »Keinerlei Zweifel.«
    »Hm.« Peshke dachte nach und kritzelte dann ein paar rasche Notizen auf seinen Block. Er hielt ihn hoch und räusperte sich, bevor er vorlas. »Der Gouverneur ist sich der Tragweite solcher Entscheidungen vollauf bewusst und ist entschlossen,
jeden solchen Fall gesondert zu bedenken. Diese Pflicht bedeutet für ihn eine schwere Bürde, aber er weiß um seine gesetzlich verankerte Verantwortung, und er hat diesen Fall sehr

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