Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
spricht für sich selbst.«
Jetzt bewegten wir uns wieder auf einer gemeinsamen Ebene. Sein Ruf sprach definitiv für sich selbst. Und wenn ich diesen Idioten richtig einschätzte, würde er kein weiteres sinnvolles Wort mehr zu diesem Thema von sich geben.
»Bitte teilen Sie dem Gouverneur mit, dass ich mich sehr geehrt fühlen würde, am Obersten Gerichtshof dienen zu können.«
»Das werde ich, Herr Richter.«
»Und wenn Sie diese Empfehlung über mich schreiben – wird die veröffentlicht?«
»Das steht noch nicht fest«, erwiderte ich.
»Nun, wenn es so ist – dann möchte ich vorher einen Blick darauf werfen. Und sorgen Sie dafür, dass sie ihre Wirkung tut.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
»Gut.« Der Richter klatschte in die Hände. »Jetzt können wir sagen, dass wir uns getroffen haben.«
»Das können wir.«
Er erhob sich und streckte seine Hand aus. Ich ergriff sie und drückte sie so fest ich konnte, ein kurzer, aber harter Händedruck. Und damit war meine bedeutsame Befragung des ehrenwerten George Henry Ippolito vorüber.
74
Nach dieser Serie von Befragungen zur Berufung an den Obersten Gerichtshof stand mir gleich das nächste zum Schein veranstaltete Treffen bevor. Ich sollte mir die Gnadengesuche einer Reihe von Leuten anhören, die Antwain Otis’ Leben retten wollten. Madison Koehler hatte mir bereits erklärt, worin mein Auftrag bestand: Ich sollte den Gouverneur dabei unterstützen, das Gnadengesuch abzulehnen und den Inhaftierten hinrichten zu lassen.
Ich hatte Antwain Otis’ umfangreiche Akte bereits zum zweiten Mal studiert und ein kurzes Resümee verfasst. Es war keine sonderlich originelle Story. Vor elf Jahren hatte Otis als Highschool-Abbrecher und Mitglied der Tenth Street Gang ein Pfandleihhaus auf der Mayfair Avenue in Marion Park überfallen, einer South-Side-Gemeinde nicht weit von dort, wo ich aufgewachsen war. Nachdem Otis das Leihhaus verlassen hatte, holte der Besitzer eine Waffe hervor, die er unter
der Theke aufbewahrte, rannte ihm hinterher und schoss auf ihn. Otis erwiderte das Feuer, erwischte dabei jedoch eine Frau und ihren Sohn, die gerade die Straße überquerten. Der Tod der Mutter und ihres Kindes waren eindeutig unbeabsichtigt gewesen, aber das interessierte das Gesetz nicht. Wenn man eine Waffe willentlich abfeuert – was Otis eindeutig getan hatte –, dann geht das Gesetz automatisch davon aus, dass man denjenigen, der das Pech hat, sich gerade in der Schusslinie zu befinden, mit Vorsatz tötet. In diesem Fall also die beiden Opfer Elisa Newberry, 32, und ihren fünfährigen Sohn Austin.
Otis wurde wegen Mordes zum Tode verurteilt. Bei der ersten Berufung bestätigte der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates das Urteil, hob jedoch wegen eines formalen Fehlers der Anklage die Todesstrafe auf. Der Fall wurde an das Strafgericht des Bezirks zurückverwiesen, wo eine neue Jury wiederum die Todesstrafe für Antwain Otis empfahl.
Otis konnte sich nicht auf mangelnde anwaltliche Vertretung berufen, da es seinen Anwälten gelungen war, in der ersten Berufungsrunde die Todesstrafe aufheben zu lassen. Außerdem bekannte sich Otis nun schon seit mehreren Jahren zu den Morden, so dass niemand von einem Justizirrtum sprechen konnte. Er war definitiv kein unschuldiger Mann.
Das war natürlich ein wichtiger Umstand. Die ganzen Horrorgeschichten über Insassen des Todestrakts, die so häufig von Todesstrafengegnern zitiert wurden, sie alle spielten hier keine Rolle: Ein nachlässiger Anwalt, der während des Prozesses einschlief oder keine Zeugen aufgerufen hatte; ein Staatsanwalt, der entlastendes Material unterschlagen hatte; ein Cop, der ein falsches Geständnis aus dem Angeklagten herausgeprügelt hatte; nichts davon konnte hier geltend
gemacht werden. Antwain Otis waren alle ihm zustehenden Rechtsmittel zuteilgeworden. Er hatte gute Anwälte und einen fairen Prozess gehabt. Und mittlerweile gestand er offen, die Schuld an den Morden zu tragen. Er war nicht zu Unrecht verurteilt worden; tatsächlich konnte man sagen, Antwain Otis war vollkommen rechtmäßig zum Tode verurteilt worden.
Allerdings behauptete das Gnadengesuch von Otis’ Anwälten auch gar nicht, dass hier ein unschuldiger Mann verurteilt wurde. Vielmehr argumentierten sie, Otis habe sich rehabilitiert und sei eine positive Kraft im Gefängnissystem geworden. Kurz gesagt: Antwain Otis hatte Gott gefunden.
Ich hatte solche Geschichten in meiner Zeit als Staatsanwalt immer wieder
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