Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
die Farbe von Sandpapier und war vermutlich gefärbt. Er hatte wässrige Augen, einen zusammengekniffenen Mund und eine dicke rote Nase, was er zu vielen Nächten im Rusty’s oder in der Sidebar verdankte, wo nach Verhandlungstagen üblicherweise die Anwälte abhingen. Er war ein Gewohnheitstrinker, auch wenn niemand genau sagen konnte, ob er seinem Laster schon tagsüber frönte. Seinen Temperamentsausbrüchen auf der Richterbank nach zu urteilen, war es durchaus möglich, dass er schon morgens einen kleinen Schuss in seinen Kaffee kippte. Andererseits hatte ich ihn im Gerichtssaal niemals lallen oder auch nur undeutlich sprechen hören. Er war ein Arschloch, aber ein nüchternes.
Als er eintrat, sah ich an seiner Miene, dass er mein Gesicht wiedererkannte; selbstverständlich wusste er auch meinen Namen, aber ganz offensichtlich hatte er beides bis zu diesem
Moment nicht zusammengebracht. Höchstwahrscheinlich hatte er es schon mit hunderten von Staatsanwälten zu tun gehabt, und sie waren alle irgendwie miteinander verschmolzen.
»Jason Ko-LAR-ich!«, begrüßte er mich und setzte ein breites Grinsen auf. Ganz offensichtlich hatte er sich dazu entschlossen, sich an mich zu erinnern. Es hätte diesem Vorhaben allerdings nicht geschadet, wenn er sich zuvor auch über die korrekte Aussprache meines Namens informiert hätte. Kola, wie das Getränk. Rich, wie die Kurzform von Richard. War das denn so schwer?
»Freut mich, Sie wiederzusehen, Herr Anwalt«, sagte er, während er fest meine Hand drückte.
Jemand musste ihm erzählt haben, dass ich schon mal als Ankläger einen Fall vor ihm verhandelt hatte. Ich fragte mich, ob sie ihm auch verraten hatten, was ich in Wahrheit von ihm hielt. Wie auch immer, die richtige Betonung meines Namens hatten sie ihm jedenfalls ganz bestimmt nicht verraten.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Herr Richter. Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.«
»Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen, Jason.«
Großartig. Ausgezeichnet. Ich legte mit meiner Standardformulierung los: Der Gouverneur zieht ein breites Spektrum von Kandidaten mit diversen Hintergründen in Betracht; Sie haben eine Menge Leute beeindruckt; wir haben Sie deshalb in die engere Auswahl gezogen; wir sind interessiert daran, mit Ihnen zu sprechen; etc. pp.
»Was für ein Name ist Ko-LAR-ich?«, fragte er, nachdem ich geendet hatte.
»Ich bin zu drei Vierteln Ire«, sagte ich. »Aber mein Vater war Ungar.«
»Klingt irgendwie polnisch.«
Es war keine Frage, also antwortete ich nicht.
»Sind Sie auf der South-Side aufgewachsen?«
»Leland Park«, sagte ich. Dieser Kerl befragte mich.
»Was war Ihre Kirchengemeinde?«
Ah, South-Side-Geografie. Identifikation durch die Katholische Kirche, die man besucht hatte.
»St. Pete.«
»St. Agnes.« Er deutete auf sich selbst. »Welche Schule, Bonaventure?«
»Richtig.«
»Waren Sie öfter im Louie’s?«
»Bester Hot Dog mit Kraut in der Stadt«, sagte ich. Der Laden lag direkt um die Ecke von der Bonaventure, meiner ehemaligen Highschool.
»Allerdings. Letzten Sommer war ich bei einem Footballspiel, und dort haben die tatsächlich Ketchup auf meinen Hot Dog gemacht. Ketchup.«
Das war natürlich ein Sakrileg. Eine Menge Menschen verstehen bei solchen Dingen keinen Spaß. Senf ist die einzig angemessene Zutat zur Wurst. Und Budweiser ist das einzig zulässige Bier bei einem Footballspiel. Andererseits musste ich diesen Typen wegen eines Sitzes im Obersten Gerichtshof befragen, also widmeten wir einem solchen Thema besser nicht mehr als höchstens dreißig Sekunden.
»Können Sie mir Ihre Rechtsphilosophie beschreiben?«, fragte ich.
Er musterte mich einen Augenblick und verzog dann den Mund zu einem humorlosen Grinsen. »Meine Rechtsphilosophie? Meine Rechtsphilosophie.«
Er ließ sich in seinem Sessel zurückfallen, reckte das Kinn
nach oben und beäugte mich. »Sie befragen mich zu dieser Position?«
»Ja, das tu ich.«
»Stellen Sie etwa in Frage, ob ich diesem Job gewachsen bin.«
»Ich stelle einfach nur Fragen. Mehr nicht.«
»Und Sie werden dem Gouverneur Ihre Empfehlung geben? «
»Richtig.«
»Hmm.« Er nickte mir zu. »Wie lange sind Sie schon Anwalt? «
»Neun Jahre.«
Sein Gesichtsausdruck besagte alles: Wie kam ein Jungspund wie ich dazu, gestandene Richter zu beurteilen? Dieser Kerl war tatsächlich beleidigt, weil er mir Rede und Antwort stehen musste. »Ich bin seit siebzehn Jahren Richter. Ich habe einen Ruf, und der
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