Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
davon hatte ich keinen Plan – außer, dass ich nicht länger warten würde.
Denn jetzt kannte ich die Wahrheit. Endlich. Blieb nur die Frage, wie ich vorgehen würde.
83
Während der Fahrt begann es zu regnen. Wie fette Tränen platschten die Regentropfen gegen meine Windschutzscheibe. Düster und stürmisch, das schien mir die angemessene Stimmung. Ich spürte eine zunehmende Kälte in mir, während ich die ganze Sache noch einmal durchging und sah, dass alles in eine Richtung wies, egal wie ich es drehte und wendete. Und die innere Kälte nahm zu, als ich Berechnungen anstellte, die am Ende niemals glatt aufgehen konnten: Wäre Adalbert Wozniak nicht ermordet worden, hätte es keinen Ernesto Ramirez in meinem Leben gegeben. Ohne Ernesto Ramirez hätte ich nicht die ganze Nacht auf seinen Anruf gewartet. Wäre Ernesto nicht ermordet worden, wären meine Frau und mein Kind nicht alleine gefahren.
Alleine in einer Nacht wie dieser; nicht kalt, aber regnerisch, mit rutschigen Straßen und schlechten Sichtverhältnissen.
Ich war über die Warum -Fragen hinaus, die ich mir in der Zeit nach dem Unfall immer wieder gestellt hatte: Warum hatte Talia die Reise nicht verschoben, obwohl es so heftig geregnet hatte? Warum hatte sie vor der Kurve nicht gebremst? Ich hatte diese Phase überwunden, weil ich wusste, dass ich die Schuld einfach nur übertrug: Ich war traurig und wütend und machte alle und jeden dafür verantwortlich, mich selbst auch, aber eben nicht nur.
Ich atmete tief ein und aus, während die Dunkelheit immer mehr zunahm und alles um mich herum einfärbte. Ich zitterte, umklammerte mit weißen Fingerknöcheln das Lenkrad, und meine Zähne knirschten so heftig, dass ich Blut auf der Zunge schmeckte.
Ich hatte dieses Stadthaus noch nie zuvor besucht, aber dank Joel Lightner hatte ich die Adresse. Es war nicht schwer zu finden. Die Gegend hatte sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, noch bevor die Immobilienblase platzte. Doch hier gab es keine Hausbesitzer, die ihre Kredite nicht mehr abbezahlen konnten und ihre Häuser im Chaos hinterlassen hatten. Dies war die Near-West-Side, mit neuen Lofts und schicken Apartmenthäusern, die von Yuppies und Künstlern gekauft worden waren.
Ich stand neben dem Briefkasten. Ein kalter Regenschauer prasselte auf mich nieder und zwang mich zu blinzeln, während ich zu dem dreistöckigen Bau aufblickte. Es war zwei Uhr morgens, und alle Lichter im Inneren des Hauses waren ausgeschaltet. Ich zog mein Handy heraus und wählte die Nummer. Es klingelte zweimal, dann meldete sich der Anrufbeantworter.
Ich legte auf. Dann wählte ich erneut.
Oben im zweiten Stock ging ein Licht an. Vermutlich das Schlafzimmer. Mehr brauchte ich nicht zu wissen.
»Ja, hallo? Jason?«
»Hey«, sagte ich in mein Handy. Meine Stimme war ruhig und nüchtern. »Ich glaube, wir hatten vorhin schlechten Empfang. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich sicher niemandem was davon erzählen werde.«
Ich konnte hören, wie Hector sich räusperte und die Reste von Schlaf abschüttelte. »Okay, gut. Das ist gut. Hey, morgen früh zum Frühstück, acht Uhr dreißig. Apple Jacks?«
»Morgen zum Frühstück.« Dann drückte ich auf die Austaste.
Fünf Sekunden später ging das Licht im Schlafzimmer wieder aus.
Hector hatte sich hingelegt und würde jetzt, wo ich ihm versichert hatte, dass ich das Geheimnis seines politischen Gönners Carlton Snow nicht preisgeben würde, ruhig schlafen können. Ich fragte mich, wie oft Hector sich hier draußen in diesem Stadthaus aufhielt. Jemand, der wie er sein Privatleben schützen musste, übernachtete vermutlich vorzugsweise bei seinem Partner und nicht umgekehrt. Vermutlich parkte er seinen Wagen nachts in der Garage und stahl sich frühmorgens aus dem Haus, bevor ihn irgendjemand sehen konnte. Aber vielleicht fühlte er sich hier auch sicher genug, in diesem Künstler-und-Yuppie-Viertel, das ein paar Kilometer von dem Bezirk entfernt lag, den er einmal als Senator repräsentiert hatte.
Auf dem Briefkasten stand D. Bailey. Laut Joel Lightner war Delroy Bailey hierhergezogen, nachdem er sich von Joey Espinozas Schwester getrennt hatte. Lightner, mit seinem üblichen
Hang zur Akribie, hatte sogar die Scheidungsgründe notiert, die in den Unterlagen von Joeys Schwester vermerkt waren: unüberbrückbare Differenzen. Klar, es war wohl tatsächlich ein kaum zu überbrückendes Hindernis für eine Beziehung, wenn der eigene Ehemann schwul war.
Es war nicht
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