Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
verplapperte. Ich persönlich hielt es allerdings für weitaus wahrscheinlicher, dass Madison die eigentliche Drahtzieherin war und es als solche verzog, den Gouverneur nicht in bestimmte Details einzuweihen. Carlton Snow wiederum schien mir jemand zu sein, der mit so einen Arrangement gut leben konnte.
Tucker nickte. »Sonst noch was?«
»Morgen geben die Gewerkschaften ihre Unterstützung für Snow bekannt. Die VAS und die Arbeiter. Vermutlich so um elf oder halb zwölf.«
Ich bemerkte ein nervöses Flackern in seinen Augen. Mir war es genauso gegangen, als ich diese Nachricht erhalten hatte; daher erzählte ich ihm rasch, dass meines Wissens nach Ippolito morgen nicht berufen wurde. »Madison meint, der Vorgang wäre sonst zu durchsichtig.«
»Hat sie das tatsächlich so gesagt? ›Zu durchsichtig‹?«
»Ja, hat sie. Diese Aussage können Sie vermutlich gut gebrauchen vor Gericht.«
Tucker wirkte zufrieden. Verständlich, aus seiner Perspektive. So wie es aussah, stand Madison dem Gouverneur am nächsten. Sie hatte am meisten auszuplaudern. Also würden sie die gute alte Erst-hart-dann-zart-Methode bei ihr anwenden. Zunächst würden sie ihr alles zur Last legen, was sie gegen sie gesammelt hatten und ihr eine Heidenangst einjagen; um ihr anschließend einen Deal anzubieten, bei dem sie alles preisgeben würde, was sie über Gouverneur Snow wusste. Höchstwahrscheinlich würde sie ihre Starzeugin werden.
Das alles war mir natürlich längst klar gewesen, aber es hatte mich bisher wenig gekratzt. Meiner Theorie zufolge hatte Madison bei dem Mord an Greg Connolly eine Rolle gespielt, und als ich belastende Aussagen über die Ippolito-Berufung und den Rick-Harmoning-Deal sammeln half, hatte dieser Umstand mein Gewissen erheblich erleichtert. Doch jetzt, wo sich herausstellte, dass sie mit dem Mord aller Wahrscheinlichkeit nach doch nichts zu tun hatte, stach mich ein wenig das schlechte Gewissen.
»Sonst noch was?« Tucker wog den F-Bird in der Hand. Er hatte es eilig zurückzukommen und die Aufnahmen des heutigen Abends zu analysieren.
»Nichts Wichtiges«, sagte ich. Wobei ich Hectors Geständnis heute Abend unterschlug, dass er die Erpressung von Geschäftsleuten durch die Columbus Street Cannibals nicht nur ausgeheckt, sondern auch gesteuert hatte. Chris Moody würde diesen Teil gar nicht mögen, wenn er den F-Bird abhörte. Es war, als würde ihm seine Niederlage im Gerichtssaal
noch einmal unter die Nase gerieben. Das war natürlich nicht meine Absicht gewesen. Aber es war ein hübscher Nebeneffekt.
»Okay, also – das war’s?«, fragte Tucker.
Ich dachte einen Moment nach. »Ich kann es Ihnen genauso gut auch jetzt sagen, Sie werden es ohnehin hören«, sagte ich. »Der Gouverneur hat sich heute Abend an mich rangemacht. «
»Er hat sich an Sie …« Tucker starrte mich aus unschuldigen, ahnungslosen Augen an. Dann brach er in Lachen aus. »Was hat er getan?«
»Er hat sich dicht neben mich gesetzt und mir die Hand aufs Knie gelegt.«
Tucker klatschte sich die Hände auf den Kopf. Er hielt das offensichtlich für einen echten Kracher.
»Auf meinen Oberschenkel, um genau zu sein«, fügte ich hinzu.
Das ließ ihn noch heftiger lachen. Vermutlich war es eine Mischung aus Spannungsabbau und Schlafentzug, aber schon bald musste er den Türgriff benutzen, um sich aufrecht zu halten. »Sie müssen … Sie machen Witze.«
»Ich wünschte, es wäre so.«
Mein Handy summte. Auf dem Display leuchtete Hector Almundos Nummer. Ich konnte mir vorstellen, warum er anrief, aber ich war jetzt nicht in der Stimmung. Ich hoffte nur, dass Tucker demnächst irgendwann zu lachen aufhören würde.
»Acht Uhr dreißig morgen früh?«, fragte Lee, nach Luft schnappend und mit tomatenrotem Gesicht.
»Ja, bis dann.«
Ich konnte sein Lachen noch hören, während er die Seitengasse
hinunterlief. Und ich erlaubte mir ebenfalls ein kurzes Kichern als Reaktion auf diese bizarre Komödie. Aber die Heiterkeit hielt nicht lange an. Meine Zeit mit den Leuten des Gouverneurs war bald abgelaufen, ich hatte eine Menge für das FBI getan, doch in meiner persönlichen Mission war ich keinen Schritt weitergekommen. Ich hatte mein Hauptaugenmerk auf zwei potenzielle Drahtzieher des Mordes an Greg Connolly gerichtet – den Gouverneur und Madison –, was sich in beiden Fällen als Holzweg erwiesen hatte.
Vielleicht hatte ich mich getäuscht und Charlies Führungsrolle doch unterschätzt in jener Nacht, als Greg und ich befragt
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