Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
seiner Windjacke in der Nase, als er mir den Arm um die Schulter legte.
Und ich weiß noch, wie mein Handy klingelte, wie ich es aus der Tasche nahm und hinunter in die Schlucht schleuderte.
Es folgen diverse Erinnerungsschnipsel: ein Streitgespräch mit dem Bestatter darüber, wie viel Make-up bei der Aufbahrung auf Talias Gesicht sollte. Die Totenwache für meine
Frau und meine Tochter, bei der ich von Horden konservativ gekleideter Menschen umgeben war; Mitarbeiter meiner Anwaltskanzlei, die ich als Neuling in der Firma gar nicht kannte und an deren Bekanntschaft mir nicht das Geringste lag. Paul Riley in seiner üblichen lässigen Art, mit der er mir nebenbei erzählte, dass Senator Hector Almundo dank meines Einsatzes in allen Anklagepunkten freigesprochen worden war und dass ich mir alle Zeit der Welt geben sollte, bevor ich die Arbeit wieder aufnahm; Paul bat mich auch, nichts zu übereilen, als ich ihm mitteilte, dass ich nie wieder zu Shaker, Riley und Fleming zurückkehren würde. Dann war da noch Talias Vater, der mich mehrfach indirekt daran erinnerte, dass eigentlich ich am Steuer hätte sitzen sollen, in der Nacht, als Talia und Emily Jane starben. Das Gefühl, ich sollte eigentlich weinen, wenn ich es nicht tat, und ich sollte es unterdrücken, wenn ich es tat. Und die Müdigkeit, diese unendliche Müdigkeit.
Rückblickend war ich vermutlich das ideale Ziel für sie. Nach dem Anruf des State Troopers, und nachdem ich meine Frau und meine Tochter beerdigt hatte, war mir alles gleichgültig geworden. Ich hatte nichts mehr zu verlieren.
Und das ist wohl der eigentliche Grund für das, was ich getan habe. Und auch der Hauptgrund, warum sie mich wollten.
Anwaltlicher Rat Sechs Monate später: Dezember 2007
10
Ich trampelte auf der Fußmatte vor meinem Büro herum, um etwas festgebackenen Schnee von meinen Schuhen zu klopfen. Auf der Milchglasscheibe der Tür stand in angemessener Reihenfolge Shauna L. Tasker, Esq. und Jason Kolarich, Esq. »Hey«, sagte ich, als ich an unserer gemeinsamen Büroassistentin Marie vorbeikam, die in diesem Job enormen Nutzen aus ihrem abgeschlossenen Archäologiestudium zog.
»Was verschafft uns die Ehre?«, erkundigte sie sich. Ich ignorierte ihren Kommentar bezüglich der Häufigkeit meiner Anwesenheit. Wäre dieses Anwaltsbüro eine Schule gewesen, wäre ich längst wegen Schwänzens rausgeflogen. Nicht, dass mir mein Beruf keinen Spaß mehr machte; ich mochte nur einfach keine Klienten. Sie waren hilfsbedürftig und undankbar.
»Warum gräbst du nicht unter deinem Tisch nach irgendwelchen alten Inka-Urkunden«, schlug ich vor.
Nachdem ich ein paar Monate Trübsal geblasen hatte, hatte Shauna mich buchstäblich in diese Kanzlei geschleift und verlangt, dass ich meiner Leidenschaft für den Anwaltsberuf wieder Leben einhauchte. Dabei hatte ich keine Ahnung von der Arbeit eines selbstständigen Anwalts. Nach dem Studium war ich zunächst Staatsanwalt gewesen – wo einem die Fälle gewissermaßen in den Schoß fielen, dank der verlässlich hohen Kriminalitätsrate unserer Stadt – und anschließend Juniorpartner
bei Shaker und Riley; wobei erfahrene Partner wie Paul Riley die Klienten an Land zogen und ich lediglich die Arbeit zu erledigen hatte. Ich konnte mich ganz auf meine Tätigkeit konzentrieren und musste nicht aus geschäftlichen Gründen irgendeinem Idioten um den Bart gehen und ihm versichern, was für eine Ehre es für mich war, ihn vertreten zu dürfen.
Shauna hatte mir dankenswerterweise ein paar Fälle zugeschanzt; außerdem hatten mich aufgrund unseres Überraschungserfolgs im Prozess Vereinigte Staaten gegen Hector Almundo einige Klienten kontaktiert. Das meiste davon waren Kriminalprozesse, was in Ordnung war, sofern man sein Honorar im Voraus erhielt, doch die wenigsten waren wirklich interessant. Die richtigen Knaller – Morde oder Wirtschaftsverbrechen – gehen üblicherweise an große Kanzleien, wo der Seniorchef graumelierte Schläfen hat.
»Hey«, sagte ich und steckte den Kopf durch Shaunas Bürotür. Sie hatte die Füße auf den Tisch gelegt und studierte irgendwelche Vertragsunterlagen. Sie arbeitet wie ich am Gericht, hat jedoch klugerweise ihr Tätigkeitsfeld auf alle möglichen anderen Bereiche ausgedehnt – Immobilienverträge, Unternehmensgründungen, Testamente und Nachlässe sowie jede Art von kommerziellen Vertragswerken. Für mich kommt das nicht in Frage. Entweder man stellt mich in einen Gerichtssaal, wo ich richtig kämpfen
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