Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
»Ich versuche hier noch alles in trockene Tücher zu kriegen. Ich bin kurz vor der Ziellinie.«
»Prima. Okay«, sagte sie leicht abwesend. Ich hörte, wie Emily einen kleinen Schrei in der Nähe des Telefons ausstieß. »Denk dran, heute Abend soll es regnen. Es ist sicher gut, möglichst früh loszufahren.«
»Genau. Ich muss nur noch warten, bis ich was von diesem Typ höre, von dem ich dir erzählt habe, diesem Ramirez. Er will mich anrufen, umgekehrt ist es nicht möglich.« Talia und ich hatten am Morgen kurz darüber gesprochen. Aber wie bei den meisten Gesprächen, bei denen man sich nebenher um ein Neugeborenes kümmern muss, waren wir zu keiner wirklichen Lösung gekommen.
»Und das ist so wichtig, obwohl du schon kurz vor der Ziellinie bist?«
»Hängt davon ab, was er mir zu sagen hat«, erklärte ich. »Wir haben noch nicht entschieden, ob wir die Beweisführung abschließen. Und selbst wenn wir das tun, wird der Richter sie uns wieder aufnehmen lassen, wenn ich was Entscheidendes anbringe.«
Talia wandte sich einen Augenblick Emily zu. Ich war an diese Unterbrechungen gewöhnt. Ich wartete ab.
»Bedeutet das, dass du dieses Wochenende auch arbeiten wirst? Ich meine, wenn es ›was Entscheidendes‹ ist, heißt das, du kommst nicht mit?«
Darauf wusste ich keine gute Antwort. »Ich weiß es nicht. Er hat behauptet, er ruft mich bald an. Erst danach kann ich wirklich was sagen.«
»Das ist nicht sehr hilfreich, Jason.«
»Was soll ich sonst sagen? Es sind außergewöhnliche Umstände. «
»Ach wirklich?« Talias Tonfall wurde schärfer.
»Ja«, erwiderte ich. »Das Leben unseres Mandanten steht auf dem Spiel, Tal. Er ist wegen Mordes angeklagt, und vielleicht gelingt es mir, den Beweis zu erbringen, dass es ganz anders lief, als die Anklage behauptet. Das würde ich durchaus unter außergewöhnliche Umstände verbuchen. Du etwa nicht?«
»Ich frage mich nur, für was die Bezeichnung ›außergewöhnlich‹ in Zukunft noch wird herhalten müssen. Das ist alles. Wird es immer irgendetwas geben? Werde ich unser Kind alleine großziehen?«
»Das ist nicht fair …«
»Weißt du was? Ich bin müde, mir ist hundeelend, ich bin sauer und nicht in der Stimmung, mir von dir anzuhören, was fair ist. Gestern Abend hast du mir gesagt, Paul hätte dich aufgefordert, dieses Wochenende mit uns zu verbringen und dir um nichts anderes Sorgen zu machen.«
»Aber das war, bevor Ramirez eingewilligt hat …«
»Okay. Jason? Bleib einfach da, okay? Bleib hier und reiß dir den Hintern auf für einen Mann, der in deinen Augen an so ziemlich allem schuld ist, was man ihm zur Last legt.«
»Talia, gib mir einfach noch ein oder zwei Stunden, okay? Zwei Stunden«, setzte ich mir selbst ein Limit. »Nur zwei Stunden.«
Neunzig Minuten verstrichen. Kein Anruf von Ernesto Ramirez. Paul meldete sich auf meinem Handy, weil er eine kurze
Frage zu einem Dokument hatte. Dann merkte er offensichtlich etwas und fragte: »Wo bist du?«
»Im Büro«, erwiderte ich.
»Ich dachte, du verbringst das Wochenende mit deiner Frau.«
»Mach ich auch. Ich warte nur noch auf jemanden.«
»Auf wen?«
Ich seufzte. »Ernesto Ramirez. Ich hab dir von ihm erzählt.«
»Jason, Jason. Er wartet auf Ernesto Ramirez«, sagte Paul zu jemand anderem. Ich hörte Joel Lightner lachen und ausrufen: »Sackgasse, Sportsfreund!« Und dann rief die Stimme unseres Klienten Almundo: »Sagen Sie ihm, er soll mit seiner Familie fahren.«
»Also«, fasste Paul zusammen, »der einhellige Beschluss deines Seniorpartners, deines Klienten und deines Privatermittlers ist: Du sollst diesen Typen vergessen und Zeit mit deiner Familie verbringen.«
»Ich nehme das als eine Empfehlung.«
»Hey, Junge – ganz im Ernst. Mir ist klar, was du vorhast. Du versuchst, ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern. Ich war früher auch so. Aber der Prozess ist kurz vor dem Abschluss, und du hast deinen Teil getan. Du hast hervorragende Arbeit geleistet, und deine Familie hat ein oder zwei Tage deiner Zeit verdient.«
»Verstanden«, sagte ich. »Aber wenn …«
»Das ist ein Befehl, mein Junge.« Das Letzte, was ich hörte, bevor er auflegte, war das Lachen von Joel Lightner und Hector Almundo.
Lacht nur, dachte ich. Umso mehr werdet ihr über das Kaninchen staunen.
Halb sieben. Immer noch kein Anruf von Ramirez. Ich meldete mich erneut bei Talia.
»Wieso kommst du nicht?«
»Ich weiß nicht. Ich hab ihn auf dem Handy angerufen, und er geht nicht dran. Aber ich
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