Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
tun, die man selber nicht gutheißt. Wenn man
dazu nicht bereit ist und nicht den echten Willen dazu hat, dann hat man es auch nicht verdient. Die Leute wollen, dass ihre Politiker mit Zähnen und Klauen um ihr Amt kämpfen.«
»Glauben Sie nicht, die Leute wollen, dass Sie den bestmöglichen Richter für den Obersten Gerichtshof auswählen?«
»Vielleicht wollen sie es, aber sie erwarten es nicht.« Er nahm einen großen Schluck Wasser. »Sie erwarten eine politische Entscheidung von mir. Sie wollen, dass ich meine Anhänger zufriedenstelle.«
»Und Sie glauben tatsächlich, diese Leute wären einverstanden mit der Art, wie George Ippolito seinen Sitz bekommen hat? Durch einen windigen Deal im Austausch für Gewerkschaftsunterstützung? «
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, kreuzte die Beine und lächelte. »Die wollen das doch gar nicht wissen.«
Ich lockerte meine Krawatte, denn mir wurde langsam heiß. Mir war nicht ganz klar, was ich hier eigentlich veranstaltete. Wenn Chris Moody dieses Gespräch in Echtzeit hätte mitverfolgen können, hätte er vermutlich einen Herzinfarkt bekommen. Das Allerletzte, was er wollte, war, dass ich dem Gouverneur ausredete, George Ippolito an den Obersten Gerichtshof zu berufen. Mir wurde klar, dass ich dem Gouverneur sehr viel Leine ließ. Und ich war mir nicht sicher, warum. Erwartete ich, dass er sich darin verstrickte und selbst darin aufhängte, oder wollte ich feststellen, ob das Hängen vielleicht ganz abgeblasen werden musste?
Mein Herzschlag legte an Tempo zu. Es fühlte sich an, als wäre ich langsam gejoggt und würde mich nun für den finalen Sprint rüsten. Auf meiner Uhr war es zehn Minuten vor elf.
»Versuchen Sie jetzt, mich zu überzeugen oder sich selbst?«, fragte ich.
Diese Bemerkung überraschte ihn. Vermutlich war er eine solche Offenheit nicht gewohnt.
»Ehrlich, Herr Gouverneur. Warum diese leidenschaftliche Verteidigungsrede? Warum bin ich überhaupt hier? Sie wissen, was die politische Marschrichtung Ihnen diktiert. Wozu brauchen Sie mich?«
Er lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne und blickte an die Decke. »Interessante Frage.«
Und die Antwort war noch interessanter. Der Teil von ihm, der noch nicht von politischer Berechnung korrumpiert war, erwog, Otis’ Urteil aufzuheben. In gewisser Hinsicht vertrat ich eine Position jenseits der Politik, daher wollte er meine Meinung hören.
Nein – er wollte eine ganz bestimmte Meinung hören. Er wollte, dass ich zum gleichen Schluss kam wie seine politischen Berater. Er wollte sich selbst einreden können, dass er das Richtige tat, wenn er Antwain Otis heute Nacht sterben ließ.
»Verraten Sie mir, was Sie an meiner Stelle tun würden«, sagte er.
Ich wäre nicht gerne an seiner Stelle, so viel stand fest. Vor dem heutigen Abend war mein Hauptkritikpunkt am Gouverneur vor allem der Mangel an echtem Interesse gewesen. Er hatte Antwain Otis’ Fall keinerlei Beachtung geschenkt, was meinem Empfinden nach an sich schon ein Verbrechen war. Ich hatte mich ganz auf diesen Einwand konzentriert, ohne mir selbst eine Meinung zu bilden. Nun sollte ich Farbe bekennen, und ich musste zugeben, es war keineswegs eine leichte Entscheidung.
Ich wusste nur so viel: Carlton Snow hatte immer noch die Chance, meinen Test zu bestehen. Ich war mir nicht sicher
gewesen, ob er ein ahnungsloser Chef war oder einer, der eine Art Vogel-Strauß-Politik betrieb und bewusst wegschaute, wenn um ihn herum Verbrechen begangen wurden.
Jetzt kam mir der Gedanke, dass es noch eine weitere Möglichkeit gab: Vielleicht war er jemand, dem man nie die richtigen Dinge ins Ohr geflüstert hatte. Er war umgeben von machtpolitisch denkenden Menschen. Alle hatten mehr oder weniger den gleichen Blickwinkel; vielleicht waren sie uneins über die jeweilige Strategie, trotzdem hatten sie alles ausschließlich aus der politischen Perspektive betrachtet. Was gefehlt hatte, war die Stimme des Gewissens. Wenn er auf sie hören würde — vielleicht wäre dieser Mann dann zu mehr imstande.
»Dieser Priester, der mit uns gesprochen hat«, sagte ich. »Erinnern Sie sich noch, was er den Gefangenen gepredigt hat? ›Blickt nicht zurück‹, hat er gesagt. ›Blickt nach vorn. Schafft ein besseres Morgen.‹«
»Richtig. Genau.« Er deutete auf mich.
»Glauben Sie, dass unser Morgen ein besseres ist, wenn Antwain Otis tot ist oder wenn er lebt?«
Er musterte mich eine lange Zeit. Ich unterbrach unseren Augenkontakt nur, um festzustellen,
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