Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
farbenfrohe Hemd, die schrille Krawatte und die unvermeidliche Krawattennadel. Was die Ausgaben für seine Garderobe betraf, war er offensichtlich nicht knauserig. Andererseits hatte er auch keine Frau oder Kinder, für die er sein Geld ausgeben konnte. Er war geschieden, und seine Exfrau hatte wieder geheiratet, was ihm die Alimente ersparte. Was mich an Joel Lightners Spekulation damals während Hectors Prozess erinnerte, unser Klient sei womöglich schwul.
Hector startete einen Versuch, mir für mein Büro Komplimente zu machen, was zu einer peinlichen Situation für uns beide führte. Diese Räumlichkeiten waren nicht im Entferntesten zu vergleichen mit denen von Shaker und Riley. Sei’s drum. Was nicht war, konnte ja noch werden. Und zumindest
theoretisch schien es vorstellbar, dass sich mein zunehmender Erfolg im Anwaltsberuf irgendwann auch in der Größe und Qualität meines Büros niederschlagen würde.
Ich sage »theoretisch«, weil ein gewisser US-Staatsanwalt ganz andere Pläne für meine Zukunft hatte und mir unter anderem mit einer Anklage wegen diverser krimineller Delikte drohte. Aber gut, ich arbeitete daran.
»Ich hab nur ein paar Minuten Zeit«, entschuldigte ich mich bei Hector. Charlie und ich würden uns heute mit einem Auftragnehmer treffen. Aber das verriet ich Hector nicht; andernfalls hätte er mich vielleicht zu Charlies wartendem Wagen begleiten wollen, was sehr ungeschickt gewesen wäre, da ich noch einen Umweg über Suite 410 machen musste, wo mir Special Agent Lee Tucker den F-Bird übergeben würde, bevor ich Charlie traf.
»Die Sache mit Charlie läuft gut«, sagte er, während er sich niederließ. Es klang eher nach einer Feststellung als nach einer Frage. Vermutlich sollte es mich vor allem daran erinnern, dass Hector derjenige gewesen war, der mir diesen Job besorgt hatte. »Macht es Ihnen Spaß?«
»Es hat so seine Momente.«
»Sie wissen, dass ich Sie auch für andere Dinge empfohlen habe. Maddie hat bereits mit Ihnen darüber gesprochen.«
Also wusste Hector von dem Angebot, das Madison Koehler mir im Hotelzimmer unterbreitet hatte. Er vermittelte gewissermaßen meine Dienste. Ich hatte die Entscheidung über ihr Angebot vertagt und in letzter Zeit nicht wirklich ernsthaft darüber nachgedacht. Ich hatte keine Lust, dem FBI dabei zu helfen, noch mehr Leute in ihr Netz zu locken. Das war nicht meine Art. Bei Charlie lag der Fall anders, denn er und seine Komplizen und ihre gefälschten Memos waren der
Grund, warum mich das FBI überhaupt am Wickel hatte. Doch darüber hinaus wollte ich niemanden in Schwierigkeiten bringen. Schon gar nicht Madison Koehler.
Und ganz bestimmt nicht Hector. Ich war zwar nicht gerade der Vorsitzende seines Fanclubs, aber er war mein Klient gewesen. Diese Bindung hatte für mich Bestand. Technisch gesehen waren wir zwar nicht mehr Anwalt und Klient, trotzdem hätte es sich falsch für mich angefühlt: Man verteidigt nicht an einem Tag einen Kerl vor einem Bundesgericht und liefert am nächsten Tag dem FBI Beweise gegen ihn. Ich hätte es tun können, rein juristisch gesehen, aber ich würde es nicht tun.
»Sie sollten das Angebot annehmen«, sagte er. »Wir brauchen Sie.«
»Wir?«
»Ja, wir.«
Madison hatte erwähnt, dass Hector das Ohr des Gouverneurs hatte. Und den Bemerkungen, die Charlie gelegentlich fallen ließ, hatte ich etwas Ähnliches entnommen. Allerdings war es für mich nicht ganz nachvollziehbar. Hector zählte sicher nicht zu den übelsten Schurken, andererseits aber auch nicht zu den hellsten Köpfen. Gegenüber Talia hatte ich ihn in einem Moment privater Vertraulichkeit einmal als politischen Gauner bezeichnet. Er ging mit dem Kopf durch die Wand und nahm dabei nicht allzu viele Rücksichten.
Meiner Einschätzung nach war es – wie so oft in der Politik – schlichtweg eine Zweckallianz. Der Gouverneur brauchte die Stimmen der Latinos, und Hector war eine Berühmtheit in seiner Gemeinde, ein Aushängeschild für die ungerechtfertigte Verfolgung durch weiße US-Staatsanwälte. Und besser noch: Hector hatte sich gegen das FBI erhoben
und es geschlagen. Für viele erhob ihn das in den Rang eines Helden.
»Mir gefällt’s, so wie’s ist«, sagte ich.
»Jason, Sie überblicken nicht das große Ganze.«
Stimmt nicht, mein Freund, war ich versucht zu sagen. Ich überblicke das große Ganze wesentlich besser als du.
»Sie wissen, wie Charlie tickt, richtig?«, sagte er. »Bei ihm dreht sich alles um Loyalität. Tja, der
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