Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
erstaunt, wenn er auch einen Typen wie Kiko kannte.
»Lightner«, sagte ich in mein Bürotelefon. Es war früh am nächsten Morgen. Mein unterer Rücken war völlig verspannt, ich hatte einen bösen Muskelkater in den Waden, aber irgendwie störte mich das nicht.
»Kolarich.« Joel Lightner war in seiner üblichen überschwänglichen Stimmung.
»Gefallen.«
»Schieß los.«
»Adresse.«
»Wer?«
»Frederico Hurtado«, sagte ich. Ich buchstabierte es ihm. Lightners Zeit als Cop lag schon länger zurück. Die Gangs waren ihm zwar nicht fremd, aber er war sicher nicht so vertraut mit der aktuellen Führungsriege wie ich. Daher hätte ihm der Name »Kiko« nichts gesagt.
Theoretisch verstieß ich damit natürlich gegen mein Vorhaben, Lightner nicht in diese Geschichte zu verwickeln. Aber das hier war eine diskrete Aufgabe, und es gab keinerlei Berührungspunkte mit dem FBI und ihrer verdeckten Operation. Zumindest glaubte ich, dass es keine Berührungspunkte gab. Aber was konnte ich mittlerweile überhaupt noch mit Bestimmtheit sagen?
»Was weißt du über ihn?«
»Latin Lord«, erwiderte ich. »Alter siebenundzwanzig.«
»Oh, alter Adel. Einer von ganz oben. Und warum willst du diesen Kerl finden?«
»Ich möchte ihn zusammen mit ein paar netten älteren Damen aus meiner Nachbarschaft zu einem Kaffeekränzchen einladen.«
Er schwieg und bekundete damit sein Missfallen.
»Komm schon, Joel, sag ja. Ich spendier dir auch ein paar Atemfrisch-Pfefferminzbonbons.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder einkriegte. Er machte sich Sorgen um mich, was ich unnötig fand. Vielleicht hatte ihn auch der Spruch mit dem Atemfrisch-Pfefferminz verärgert. Oder er fand, ich sei ein großer Junge, der sich sehr gut selbst um seinen Kram kümmern konnte.
»Du willst also wissen, wo Mr. Hurtado wohnt«, gab er schließlich nach.
Vermutlich hatte Kiko einen Haufen Geld, so weit oben, wie er in der Organisation stand. Und er ließ die Bündel mit Scheinen sicher nicht irgendwo offen herumliegen. Daher ging ich davon aus, dass er sich das eine oder andere Haus zugelegt hatte.
»Ich will vor allem wissen, wo er schläft«, sagte ich.
»Hey.« Shauna steckte den Kopf durch meine Bürotür. Sie war den ganzen Morgen im Gericht gewesen und trug ein dementsprechend flottes sandfarbenes Kostüm über einer cremefarbenen Bluse. »Da ist aber jemand fleißig.«
Wir hatten uns in letzter Zeit nicht viel gesehen. Da mein Terminkalender übervoll war und ich viel Zeit mit Charlie Cimino verbrachte, waren die freien Stunden rar gesät. Aber es war noch mehr als das. Ich merkte, dass ich zunehmend auf Distanz ging. Ich fühlte mich dieser Tage wie radioaktiv verseucht und wollte nicht, dass irgendwas davon auf sie abfärbte. Sie ahnte nichts von meinen Aktivitäten, doch wenn wir mehr Zeit miteinander verbracht hätten, hätte sie davon erfahren. Sie hätte es gespürt. Ich hätte ihr etwas vorgelogen. Und sie hätte es gemerkt. Ich hatte bereits meinen ganzen Kredit bei der US-Staatsanwaltschaft aufgebraucht, um sie einmal aus deren Klauen zu befreien, für mehr würde es nicht reichen.
»Eigentlich ist der normale Arbeitsalltag eines Anwalts gar nicht so übel«, sagte ich. »Aktenstudium. Schriftliche Anfragen beantworten. Anträge zur Beweisoffenlegung. Ich kann gar nicht genug davon kriegen.«
»Hm.« Sie musterte mich aus leicht zusammengekniffenen Augen. »Da ist ja mal wieder jemand allerbester Laune heute.«
Das traf nicht ganz zu. Ich war nicht so sehr allerbester Laune als vielmehr völlig aufgekratzt. In den letzten Wochen hatte man mir ein paar hunderttausend Volt injiziert. Bewusstseinserweiternder Sex und eine Pistole am Kopf haben die Tendenz, verstaubte Gehirnwindungen durchzupusten.
»Also, was meinst du – Dinner heute Abend?«, fragte sie.
»Kein heißes Date mit Roger?«
»Du solltest ihn bei Gelegenheit mal kennenlernen«, schlug sie vor.
Die Interkom-Anlage summte. Es war Marie vom Empfang.
»Warte einen Augenblick«, sagte ich. »Das könnte Uma Thurman sein. Ich hab sie gestern Abend versetzt.«
Ich drückte einen Knopf. »Marie, mein Liebling. Wer ruft an? Wenn es Halle Berry ist, dann sag ihr bitte, dass ich noch nicht bereit bin für eine feste Beziehung.«
»Dicht dran«, sagte sie. »Es ist Hector Almundo. Und er ist hier, um dich persönlich zu sprechen.«
52
Hector sah aus, wie er immer aussah, ob er nun einem Mordprozess entgegensah oder abends fein ausging: das übliche
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