Die Ankunft
Dann war alles still. Sie war tot.
Schreiend wachte ich auf.
Wind im Haar
Ich wartete nicht bis zum Morgen, um Viviane zu warnen. Sofort nach dem Aufwachen rief ich meine Freundin an, obwohl es noch nicht einmal drei Uhr war. Von dem beharrlichen Läuten geweckt, ging sie schließlich ans Telefon. Ich sagte ihr jedoch nicht, was ich geträumt hatte, sondern nur, dass sie auf sich aufpassen und mit niemandem mitgehen solle. Außerdem dürfe sie niemandem davon erzählen. Schlaftrunken versprach sie es. Aber das reichte mir nicht. Direkt danach rief ich Robert an. Er hörte sich hellwach an. Ich nahm mir vor, ihn bei Gelegenheit zu fragen, wie das in Wirklichkeit mit dem Schlaf bei Vampiren war. Doch das hatte Zeit bis später. Zunächst erklärte ich ihm, was ich geträumt hatte und dass wir Viviane beschützen müssten. Er versprach, die erste Wache zu übernehmen.
Etwas beruhigter legte ich auf. Doch an friedliche Nachtruhe war nicht mehr zu denken. Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere, bis endlich die ersten Hähne krähten und die Strahlen der aufgehenden Sonne durch das Fenster hindurch meine Nase kitzelten. Ich stand auf, trank eine halbe Kanne Kaffee, bevor ich zu Vivianes Haus ging, wo Robert im Hof in einer Ecke saß und die Fenster beobachtete.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Sie hat friedlich geschlafen, vor einer halben Stunde ist sie aufgestanden. Alles bestens«, erwiderte er. Er sah müde aus, vielleicht brauchten Vampire doch genauso viel Schlaf wie wir Menschen.
»Ich übernehme jetzt, wenn du willst. Dann kannst du noch ein bisschen ruhen.«
»Danke. Aber ich habe Patienten. Wenn ich gewusst hätte, dass in dem Dorf alle krank sind, hätte ich mir das noch mal überlegt mit dem Hierbleiben.« Er verzog genervt den Mund, doch ich glaubte ihm nicht.
»Du bist bestimmt ein guter Arzt. Und so krank sind sie nicht. Sie wollen nur die Chance nutzen, mal mit jemanden zu sprechen, der nicht aus dem Dorf stammt, um ihre Sorgen und Geheimnisse loszuwerden. Und um mal einen knackigen jungen Mann zu sehen.«
»Dabei bin ich mehr als doppelt so alt wie die meisten hier.«
»Aber das weiß keiner.«
Er nickte. »Heute findet die Beerdigung des kleinen Mädchens statt. Gehst du hin?«
»Natürlich.«
»Ich bin auch da, falls ich nicht als Hauptverdächtiger rausgeschmissen werde.«
»Aber dein Alibi ist hieb- und stichfest. Das wissen sie inzwischen.«
»Ich hoffe es. Also bis später.«
Er erhob sich.
»Bis später.«
Sobald er das Grundstück verlassen hatte, lief ich zum Haus und klopfte.
»Viviane? Bist du da? Kann ich reinkommen?«
Nicht Viviane öffnete die Tür, sondern ihre Mutter. Josephine Hahn sah aus, als hätte sie ihren Morgenkaffee noch nicht getrunken. Ihre hellen Augen waren zu kleinen Schlitzen zusammengekniffen, ihre Wangen bleich und die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengekniffen. Ansonsten war sie eine umwerfende Frau. Sie hatte langes, welliges Haar, das sie meist in einem Knoten im Nacken trug. Ihre Figur war immer noch atemberaubend schlank, und sie achtete wohl als einzige Person in Mullendorf auf ihre Garderobe. Heute trug ein enges, graues Kostüm mit sehr kurzem Rock. Statt in hochhackigen Pumps zu trippeln, schlurfte sie allerdings jetzt mit den Pantoffeln an ihren Füßen den Boden entlang.
»Viviane ist in der Küche«, sagte sie, als sie mich ins Haus ließ.
Sofort steuerte ich auf die Küche zu.
»Guten Morgen«, tönte die Stimme von Vivianes Stiefvater durch den Raum. Er stand an der Kaffeemaschine und goss Kaffee in drei Tassen.
Viviane saß am Tisch und las eine Nachricht auf ihrem Netbook.
»Moin, Moona, setz dich«, sagte sie. »Trinkst du einen Kaffee mit?«
In Anbetracht der halben Kanne, die ich bereits intus hatte, lehnte ich dankend ab. Ich wollte nicht am gemütlichen Familienleben der Familie Hahn teilnehmen, nur sicherstellen, dass Viviane nichts passierte.
»Noch spannende Träume gehabt?«
Wieder verneinte ich und trommelte mit den Fingern unruhig auf den Tisch.
»Was für Träume?«, fragte Matze neugierig. »Träumst du von jungen Männern, die dir den Verstand rauben?«
»Wenn es mal so wäre«, tönte Viviane und nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
»So etwas in der Art«, sagte ich leichthin, während ich Viviane einen warnenden Blick zuwarf. Sie begriff sofort. »Einen Traum von Pedro hätte bestimmt jedes Mädchen gern.«
»Ist es wahr, dass er sich neuerdings mit deiner Schwester trifft?«, fragte Vivianes Mutter
Weitere Kostenlose Bücher