Die Ankunft
Gerücht bereitete ihm besondere Sorgen: Angefeuert durch Ambrosius, den fanatischen Bischof von Mailand, und stillschweigend unterstützt von Ausonius, dem Lehrer des Kaisers, bedrängten die Christen im Senat den Imperator, den Victoria-Altar aus dem Senatsgebäude entfernen zu lassen, das traditionelle Symbol römischer Macht und der zumindest formellen Überlegenheit des Senats in allen staatlichen Angelegenheiten. Symmachus hielt sich nicht für einen Republikaner – obschon er das als Senator eigentlich zumindest dem Anschein nach sein musste –, und er erkannte wohl an, dass Gratian nach dem Tode seines Vaters die Beziehungen zwischen Thron und Senat wieder zu verbessern begonnen hatte. Doch der junge Gratian war, nicht zuletzt eben unter dem Einfluss des Ausonius, ein mehr als nur frommer Christ und schien den Einflüsterungen des Bischofs zunehmend zu erliegen.
Symmachus seufzte. Er wusste schon seit Langem, dass die Zeit der alten Religionen sich dem Ende zuneigte. Die charismatischen Prediger der Christen übertrafen sich gegenseitig darin, ihre Gemeinden zu vergrößern, genauso, wie sich darin überstürzten, übereinander herzufallen. Arianer, Manichäer – und wie all diese Strömungen sich sonst noch nannten, jede behauptete von sich, die allein selig machende Wahrheit zu kennen, und sie waren jederzeit bereit, darüber das Blut ihrer eigenen Gefolgsleute sowie der Andersgläubigen zu vergießen. Einig waren sie sich allein in der Opposition zu den alten Religionen, jenen Göttern, die Rom groß gemacht hatten und zu denen Symmachus nach wie vor betete. So sehr die Anziehungskraft der alten Götter auch schwand, der Senator sah nicht ein, dass er den Kampf zumindest um die Toleranz und Duldung der alten Kulte sowie den Erhalt der alten Tempel aufgeben sollte. Niemand hatte ihm je beigebracht, wie man aufgab.
Der Senator rollte das Papier mit dem Schreiben an einen Senatorenkollegen, der gerade vom Imperator mit einem Vikariat in Gallien bedacht worden war, zusammen und siegelte es. Morgen würde er ein zweites Blatt füllen, diesmal mit den pikanten Details und politischen Nachrichten aus Rom, die den Adressaten wirklich interessieren würden.
»Herr, ein Besucher!«
Harich, sein Majordomus, hatte sich fast lautlos genähert. Obgleich der Sklave seit gut zehn Jahren in Diensten des Senators stand, hatte er es nie geschafft, das gleiche Maß an unterwürfiger Ergebenheit an den Tag zu legen, das andere Mitglieder der Dienerschaft zeigten. Auch seine leise Ankündigung hatte eher beiläufig denn interessiert geklungen, als gehe ihn das alles nichts an. Symmachus hatte den gedrungenen Mann, der als Kriegsgefangener in seinen Haushalt gekommen war, trotzdem schnell zum Verwalter dieser Villa ernannt. Harich, der vor seiner Gefangennahme am Hofe eines germanischen Führers ein hohes Amt bekleidet hatte, zeigte große Fähigkeiten in der Anleitung der anderen Diener und hatte ein Händchen für Handel, ein untrügliches Gespür für exotische Genüsse und den richtigen Zeitpunkt, um sie auf den Märkten Roms zu identifizieren.
»Wer ist es?«
»Seine Exzellenz, der Senator Marcus Gaius Michellus.«
Symmachus runzelte die Stirn. Michellus war ein Beispiel dafür, dass es christliche Senatoren gab, die einem Mann von Status seine paganistischen Neigungen nachsehen konnten, wenn diese nur sonst den sozialen und politischen Gepflogenheiten des senatorischen Standes vollständig entsprachen. Er würde Michellus nicht zu seinen engsten Freunden zählen, aber er gehörte ebenfalls einer Familie an, die erst vor wenigen Generationen senatorische Würden erreicht hatte, und er stammte wie Symmachus' Vorfahren aus der Provinz. Das gemeinsame Schicksal, insbesondere die Art und Weise, wie die alteingesessenen römischen Familien mitunter noch auf die Emporkömmlinge hinabsahen, hatte durchaus etwas Verbindendes. Abgesehen davon war Michellus ein stockkonservativer Senator, der auch auf das bunte Treiben manch christlicher Senatskollegen mit Verachtung hinabsah. Und er war ein Freund der Literatur, genauso wie Symmachus. Es gab mehr, das sie verband, als solches, was sie trennte.
»Er soll hereinkommen!«
Es dauerte nur kurze Zeit und Michellus betrat den Raum. Er sah ein wenig verschwitzt und erschöpft aus. Symmachus erkannte sofort, dass der Senator nicht gekommen war, um über aktuelle literarische Entwicklungen zu diskutieren. Der wohlbeleibte Mann mit der beginnenden Halbglatze – und er war gerade
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