Die Ankunft
Schattenmänner waren da gewesen und hatten uns dabei beobachtet. Hatten applaudiert. Ich war eine Mörderin. Ich war ein Monster. Ein … Ich schluchzte in mein Bett, in dem ich inzwischen lag, während mir all diese Gedanken durch den Kopf gingen. Ich war so geschaffen worden, ohne zu wissen, warum, und hatte den Eindruck, als ob das sonst auch keiner wusste.
Doch war ich jetzt auch stark, nicht wahr? Ich konnte furchtlos sein, wenn ich es zuließ. Dann war da noch diese Verbundenheit mit anderen, mit meinem Rudel, die mich an das Gefühl erinnerte, das ich früher als kleines Kind meiner Familie entgegengebracht hatte. Es fühlte sich an wie nach den Weihnachtsfeiern mit meinen Großeltern, wenn alle im Pullover vor dem lodernden Kamin saßen und ich Geschenkpapier in die Luft warf, während sie lachten und das Gemetzel des Geschenkaufreißens filmten. Wie an meinen Dad gekuschelt unter einer alten Häkeldecke zu liegen und sich Alias – Die Agentin anzusehen, während ich mich lautstark darüber wunderte, warum Sydney Bristow ihrer Spionagetätigkeit manchmal nur in Unterwäsche nachging. Wie Megan und ich, wenn wir mit Decken über den Schultern umherrannten, die königliche Roben sein sollten, und lauthals herumschrien, während wir so taten, als würden wir von menschenfressenden Einhörnern verfolgt. Das sollte nicht heißen, dass mir meine Familie nicht noch immer nahestand. Es war vermutlich nur einfach so, dass wir alle mittlerweile unser eigenes Ding durchzogen. Und innerhalb einer Woche hatten Megan und ich uns auseinandergelebt. Doch wenn Spencer da war, und jetzt auch noch Dalton, kehrten all diese alten, wohligen Gefühle irgendwie wieder zurück. Dieses Gefühl, dass ich sie brauchte und sie mich, und dass wir gemeinsam einfach gnadenlos glücklich sein konnten. Nur dass mein Rudel gerade nicht da war. Eine, Emily Cooke, würde nie da sein. Ich war allein mit all diesem Irrsinn, und alles, was ich mir wünschte, war, Spencer zu finden, eine biochemische Verbindung mit ihm einzugehen und in einem benebelten, verblödeten Zustand zu verharren. Krank, nicht wahr? Es ist schon lustig, dass ich anfangs gedacht hatte, mit all dem alleine fertigwerden zu können. Ich war der Meinung gewesen, ich hätte irgendwie alle Facetten meiner Persönlichkeit miteinander in Einklang gebracht und wäre eine unabhängige Frau, die hocherhobenen Hauptes umherschritt wie Beyoncé. Abgesehen davon, dass ich mich selbst davon abhielt, mich in die Nächtliche Emily oder in die Wölfin zu verwandeln, die stärkeren Versionen meiner selbst. Und die einzigen Male in den letzten paar Tagen, an denen ich mich übermütig und sorglos gefühlt hatte, hatte das daran gelegen, dass ich mit einem Jungen zusammen gewesen war.
Das muss nicht so sein. Die Nächtliche Emily. Hör auf, so verdammt viel Angst zu haben. Du weißt, dass du mehr draufhast. Das hast du bewiesen. Glaub es endlich!
» Ich weiß, ich weiß«, murmelte ich. » Du bist so toll, ich bin so langweilig, blablabla. O, sieh mal, hinten im Schrank hinter den alten Gummistiefeln: noch ein bla.« Ich nahm die Brille ab, schloss die Augen und massierte meinen Nasenrücken. Wenn man bedenkt, wie viel ich schlief, hätte ich nicht derart müde sein dürfen. Doch wenn man neben der Schule und wütenden besten Freundinnen auch noch ständig von diesem Sci-Fi-Wahnsinn aufgezehrt wird, kann einen das schon leicht auslaugen. O – apropos wütende beste Freundin. Vielleicht konnte ich dieses eine Problem tatsächlich ohne allzu großen Aufwand wieder in Ordnung bringen. Ich warf einen Blick auf die Uhr – es war kurz nach vier. Ich musste noch ein bisschen Zeit totschlagen. Vielleicht hätte ich Hausaufgaben machen sollen, doch war ich nicht wirklich in der Stimmung dazu, mathematische Gleichungen zu zerlegen. Stattdessen hatte ich eine Idee, wie ich Megan wieder näherkommen könnte. Ich schnappte mir mein Handy und ging nach unten. Im Haus war es gespenstisch leise – wenn Dawn in ihrem Zimmer verschwand, um zu lernen, dann aber richtig. Ich schmiegte mir die nackten Arme um den Körper, um sie zu wärmen, lief über den Parkettboden zur Couch hinüber, ließ mich hineinplumpsen und wickelte mich in die Häkeldecke ein, die über den Polstern lag. Ich schnappte mir die Fernbedienung vom Couchtisch, schaltete den Fernseher ein und ging die Verzeichnisse der Filmkanäle durch. Perfektes Timing. Gleich gab es einen schlechten alten Horrorfilm. Ich schaltete den betreffenden
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