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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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beschäftigt und bei der Stange hält. Aber es ist ein bisschen mehr als das.«
    Francis sah Peter an und forderte ihn stumm auf, weiterzureden.
    »Sobald wir anfangen, Lucys Fragen zu stellen, hört irgendjemand, dass wir Nachforschungen anstellen. Es wird sich herumsprechen und früher oder später auch jemandem zu Ohren kommen, der tatsächlich weiß, wie man nach Einbruch der Dunkelheit von einem Gebäude zum anderen gelangt, wenn wir alle eigentlich medikamentös ruhig gestellt hinter Schloss und Riegel schlafen sollen. Das ist derjenige, nach dem wir Ausschau halten. Das ist unvermeidlich. Und wir bieten ihm eine Angriffsfläche.«
    Peter holte tief Luft und atmete langsam aus. »Denk mal einen Moment drüber nach«, sagte er fast flüsternd. »Wir leben alle in diesen eigenständigen Wohneinheiten, die sich über das gesamte Klinikgelände verteilen. Hier nehmen wir unsere Mahlzeiten ein. Hier gehen wir zu unseren Gruppensitzungen. Hier verbringen wir unsere Freizeit. Hier schlafen wir. Und in jedem Bau ist es das Gleiche. Kleine, in sich geschlossene Welten innerhalb einer größeren, in sich geschlossenen Welt. Mit sehr wenig Austausch zwischen jedem dieser Wohnheime. Ich meine, verdammt noch mal, dein Bruder könnte im Bau nebenan leben, und du wüsstest es nicht mal. Also, wieso sollte überhaupt irgendjemand sich zu einer anderen Station Zugang verschaffen wollen, die derjenigen, aus der er gerade abhaut, wie ein Ei dem anderen gleicht? Wir sind schließlich kein Haufen Gangster aus den Mietskasernen von South Boston, die ihr Lebenslänglich ohne Hafturlaub im Walpole-Gefängnis absitzen und sich überlegen, wie sie türmen können. Hier denkt keiner daran, auszubrechen, jedenfalls nach allem, was ich bis jetzt mitbekommen habe. Das einzige Interesse also, das jemand daran haben könnte, von diesem Gebäude zum nächsten zu gelangen, ist die Sache, die wir untersuchen. Und jedes Mal, wenn wir eine Frage stellen, die den Engel auf den Gedanken bringt, wir hätten wieder ein Mosaiksteinchen gefunden, das den Kreis der Verdächtigen einschränkt, na ja …«
    Peter zögerte. »Ich weiß nicht, ob er je einen Mann getötet hat. Wahrscheinlich ausschließlich die Frauen, von denen wir wissen.« Den letzten Teil des Satzes flüsterte er kaum hörbar.
     
    Big Black und Schwester Wrong veranstalteten an diesem Nachmittag anstelle von Mr. Evils gewohnter Gruppensitzung eine Malübung im Tagesraum. Es wurde nicht gesagt, wohin Mr. Evans verschwunden war, und auch Lucy hatte das Amherst verlassen. Jeder der Gruppe von einem Dutzend Leuten bekam große weiße Blätter dickes Baumwollpapier ausgehändigt, das sich rau anfühlte. Anschließend wurden sie lose im Kreis platziert und durften zwischen Wasserfarben und Malkreide wählen.
    Peter schaute sich das ganze Unterfangen eher skeptisch an, doch für Francis war es eine willkommene Abwechslung von den Sitzungen, die dazu dienten, ihre Geisteskrankheit mit Mr. Evans’ Normalität zu kontrastieren, was aus seiner Sicht inzwischen einziger Programmpunkt dieser Zusammenkünfte war. Cleo machte ein eifriges Gesicht, als hätte sie schon genau im Kopf, was sie skizzieren wollte, und Napoleon summte eine kleine Marschmusik vor sich hin, während er das leere Blatt auf seinem Schoß betrachtete und mit den Fingern die Kanten entlangstrich.
    Schwester Wrong trat in die Mitte des Kreises. Sie behandelte sämtliche Patienten wie kleine Kinder, was Francis hasste. »Mr. Evans möchte gerne, dass Sie alle diese Zeit dazu nutzen, ein Selbstporträt anzufertigen«, sagte sie energisch. »Etwas, das ein bisschen davon verrät, wie Sie sich selber sehen.«
    »Dann darf ich kein Bild von einem Baum zeichnen?«, fragte Cleo. Sie zeigte auf die Reihe Fenster im Tagesraum, die das Licht brachen und in der Nachmittagssonne glitzerten. Hinter dem Glas und dem Maschendraht sah Francis einen der Bäume auf dem Klinikgelände in einer leichten Brise hin und her schaukeln und seine zartgrünen Blätter in der Frühlingsluft zittern.
    »Es sei denn, Sie würden sich für einen Baum halten«, sagte Schwester Wrong so vorhersehbar, dass es geradezu peinlich war.
    »Für einen Cleo-Baum?«, fragte Cleo zurück. Sie hob den stämmigen Arm und ließ die Muskeln wie ein Bodybuilder spielen. »Einen sehr starken Baum.«
    Francis suchte sich eine kleine Palette Wasserfarben aus. Blau. Rot. Schwarz. Grün. Orange. Braun. Er hatte einen Pappbecher, den er auf den Boden neben seine Füße stellte. Nach

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