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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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einem letzten Blick auf Peter, der sich plötzlich über sein Blatt Papier beugte und emsig arbeitete, wandte sich Francis seiner eigenen leeren Fläche zu. Er tauchte seinen kleinen Pinsel in die Flüssigkeit, um die Spitze anzufeuchten, und dann in die schwarze Farbe. Er malte eine lange ovale Form und machte sich dann an die Aufgabe, sie mit den Gesichtszügen auszufüllen.
    An der Rückseite des Tagesraums hatte sich ein Mann zur Wand gedreht, der wie ein Mensch beim Gebet fortwährend etwas vor sich hinmurmelte und nur alle paar Minuten einmal kurz innehielt, um einen Blick in Richtung der Gruppe zu werfen und sich sofort wieder in sein Selbstgespräch zu vertiefen. Francis bemerkte denselben zurückgebliebenen Mann, der sie zuvor bedroht hatte; er schlurfte durch den Raum, grunzte, starrte gelegentlich in ihre Richtung und schlug sich wiederholt mit der Faust in die Hand. Francis wandte sich erneut seiner Zeichnung zu und strich weiter sanft mit der Pinselspitze über das Papier, während er mit einer gewissen Befriedigung zusah, wie in der Mitte des Blatts eine Figur Gestalt annahm.
    Francis arbeitete mit voller Konzentration. Er versuchte, sich ein Lächeln zu geben, doch es kam schief heraus, so dass es aussah, als würde die eine Hälfte seines Gesichts etwas genießen und die andere etwas bedauern. Die Augen starrten ihn konzentriert an, und er hatte das Gefühl, als könne er hinter sie schauen. Francis überlegte, ob der gemalte Francis nicht zu abfallende Schultern und insgesamt eine Körperhaltung hatte, die zu resigniert wirkte. Doch das war nicht so wichtig wie der Versuch, zu zeigen, dass der Francis auf dem Blatt Papier Gefühle, Träume und Wünsche hatte, dass er alle Emotionen kannte, die er mit der Außenwelt verband.
    Er sah nicht auf, bis Schwester Wrong ankündigte, die Sitzung würde nur noch ein paar Minuten dauern.
    Er schielte zur Seite und sah, dass Peter seinem eigenen Bild den letzten Feinschliff gab. Es stellte ein Paar Hände dar, und sie umklammerten Gitterstäbe, die vom oberen bis zum unteren Rand reichten. Es gab kein Gesicht, keinen Körper, nichts, das irgendwie eine Person vermittelt hätte. Nur die Finger, die sich um dicke Stangen aus tiefem Schwarz legten – dem beherrschenden Motiv auf dem Blatt.
    Schwester Wrong nahm Francis sein Gemälde aus der Hand und sah es sich eine Weile an.
    Big Black kam herüber und blickte über ihre Schulter auf das Bild. Er brach in ein Lächeln aus. »Verdammt, C-Bird«, sagte er. »Das ist eine tolle Arbeit. Der Junge hat ein Talent, von dem er noch keinem nix verraten hat.«
    Die Schwester und der riesige Aufseher gingen weiter, um die Arbeiten der anderen Patienten einzusammeln, und Francis fand sich neben Napoleon wieder. »Nappy«, sagte er leise, »wie lange bist du schon hier?«
    »In der Anstalt?«
    »Ja. Und hier drinnen, im Amherst.« Er zeigte auf den Tagesraum. Napoleon musste offenbar einen Moment nachdenken, bevor er antwortete.
    »Inzwischen zwei Jahre, C-Bird, vielleicht aber auch drei, ich bin mir nicht sicher. Eine lange Zeit«, fügte er traurig hinzu. »Eine wirklich lange Zeit. Man verliert das Zeitgefühl. Vielleicht wollen sie das ja. Ich bin nicht sicher.«
    »Dann weißt du ziemlich gut Bescheid, wie hier so alles läuft, oder?«
    Napoleon machte eine zarte, beinahe anmutige Verbeugung. »Eine Sachkenntnis, C-Bird, auf die ich gerne verzichten würde. Trotzdem hast du Recht.«
    »Wenn ich von hier in eines der anderen Gebäude wollte, wie würde ich das anstellen?«
    Napoleon wirkte von der Frage leicht verschreckt, denn er trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Nervös öffnete er den Mund und stammelte seine Antwort: »Es gefällt dir nicht hier bei uns?«
    Jetzt war es an Francis, den Kopf zu schütteln. »Nein. Ich meine, mitten in der Nacht. Nach der Medikamentenausgabe. Nachdem die Lichter aus sind. Angenommen, ich wollte zu einem der anderen Gebäude, ohne gesehen zu werden, wäre das möglich?«
    Napoleon dachte über die Frage nach. »Ich glaube nicht«, sagte er langsam. »Wir sind ja immer eingesperrt.«
    »Aber wenn ich nun nicht eingesperrt wäre …«
    »Wir sind aber immer eingesperrt.«
    »Aber nimm einfach mal an …«, wiederholte Francis, von der Reaktion des rundlichen Mannes ein wenig gereizt.
    »Es geht um Short Blond, nicht wahr? Und um Lanky. Aber Lanky konnte nicht aus dem Schlafsaal. Außer in der Nacht, als Short Blond starb, als nicht abgeschlossen war. Ich hab noch nie

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