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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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ins Gesicht. »Ich hab Erfahrung damit, Sie haben Erfahrung damit. Wir gehen es gründlich und solide und unbeirrbar an. Sacken dieses Beweisstück ein oder jenes, tragen Steinchen für Steinchen zusammen, bis ein Bild vom Verbrechen entsteht. Jedes Detail wird vom Anfang bis zum Ende in einen rationalen Rahmen eingefügt, um eine Antwort zu liefern. Haben Sie es nicht auch so bei der Staatsanwaltschaft gelernt? Bis das geduldige Sammeln von beweiskräftigen Fakten jeden anderen ausschließt und am Ende nur noch der Verdächtige übrig bleibt? Das sind die Regeln, oder?«
    »Das wissen Sie so gut wie ich. Aber was genau wollen Sie damit sagen?«
    »Woher wollen Sie wissen, dass der Engel das nicht ebenfalls weiß?«
    »Okay, ja. Vermutlich. Und?«
    »Demnach müssen wir alles auf den Kopf stellen.«
    Lucy blickte etwas misstrauisch drein. Doch Francis begriff, worauf Peter hinauswollte.
    »Er will damit sagen«, formulierte er mit Bedacht, »dass wir sämtliche Regeln über den Haufen werfen sollten.«
    Peter nickte. »Wir haben es hier mit Irren zu tun, und wissen Sie, was sich als ganz und gar unmöglich erweisen wird, Lucy?«
    Sie antwortete nicht.
    »Unmöglich wird es sein, hier drinnen der Vernunft und der logischen Organisation der Außenwelt Geltung zu verschaffen. Dieser Ort ist irre, und wir brauchen eine Ermittlungsmethode, die diese Welt widerspiegelt, die hierher gehört und genau auf die Gegebenheiten zugeschnitten ist. Pass dich an die lokalen Gepflogenheiten an, könnte man sagen.«
    »Und worin würde der erste Schritt bestehen?«, fragte Lucy. Es war deutlich, dass sie bereit war, zuzuhören, ohne sich jedoch gleich festzulegen.
    »Genau, was Sie vorhatten«, sagte Peter. »Wir befragen Leute. Sie holen sie sich hierher. Sie fangen ganz normal und offiziell und nach Vorschrift an. Und dann machen Sie Druck. Sprechen unhaltbare Beschuldigungen aus. Verdrehen ihnen das Wort im Mund. Wenden ihre Paranoia gegen sie selbst. Machen Sie so viel Falsches und Unverantwortliches und Unerhörtes wie möglich. Bringen Sie alle durcheinander, so dass am Ende alles hier auf dem Kopf steht. Je mehr wir den gewohnten Trott hier stören, desto weniger wird sich der Engel sicher fühlen.«
    Lucy nickte. »Immerhin ein Plan. Vielleicht erst der Anfang, aber immerhin ein Plan. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass Gulptilil da mitspielen wird.«
    »Der kann uns mal«, sagte Peter. »Natürlich spielt er nicht mit. Aber das sollte Sie nicht anfechten.«
    Sie schien einen Moment lang angestrengt nachzudenken, dann lachte sie. »Wieso nicht?« Sie drehte sich zu Francis um. »Sie werden Peter zu keiner Befragung zulassen, die ich durchführe. Aber bei Ihnen ist das was anderes, Francis. Ich glaube, Sie sollten dabei sein. Also Sie und Evans oder der mollige Doktor höchstselbst, denn er verlangt, dass einer von ihnen dabei ist, und er setzt nun mal die Regeln hier fest. Wir machen genügend Rauch und schauen mal, ob wir das Feuer entdecken.«
    Natürlich sahen die anderen beiden nicht, was Francis sah, nämlich die Gefahren, die eine solche Vorgehensweise mit sich brachte. Doch er sagte nichts, brachte die nervösen, zweifelnden Stimmen in seinem Innern zum Schweigen und hielt sich einfach für den Weg, den sie einschlagen wollten, bereit.
    Nach meiner Entlassung aus dem Western State Hospital und nachdem ich mich in meiner kleinen Stadt niedergelassen hatte, fuhr ich gelegentlich im Frühling zur Fischleiter rauf, um der Naturschutzbehörde beim Zählen der zurückkehrenden Lachse zu helfen, und dann kam es vor, dass ich die silbrig schimmernden Schatten der Fische entdeckte und mich fragte, ob sie wohl begriffen, dass sie ihre Rückkehr an den Ort, an dem sie aus dem Laich geschlüpft waren, um den Lebenszyklus in Gang zu halten, das Leben kosten würde. Das Notizbuch in der Hand, zählte ich Fische und unterdrückte dabei das Bedürfnis, sie irgendwie zu warnen. Ich fragte mich, ob sie einen tief sitzenden, genetischen Impuls verspürten, der ihnen klar machte, dass ihre Heimkehr sie umbringen würde, oder ob sie sich blind täuschen ließen, weil der Paarungstrieb so stark war. Oder waren sie wie Soldaten mit einem unmöglichen und offensichtlich verhängnisvollen Befehl, die zu dem Schluss gelangen, dass ihr Opfer wichtiger ist als das Leben?
    Manchmal zitterte mir die Hand, wenn ich auf meiner Strichliste Einträge machte. So viel Tod, der da an mir vorüberzog. Manchmal sehen wir die Dinge völlig falsch.

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