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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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würde, etwas zu sagen, das nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber auch nicht gelogen war.
    Wieder herrschte ein paar Sekunden lang unbehagliches Schweigen, dann klopfte es, und die Tür flog auf. Neben Big Black wirkte der Mann, der hereinkam und den Francis aus dem Schlafsaal oben kannte, wie ein Zwerg. »Das ist Mr. Griggs«, sagte Big Black mit einem Grinsen. »Auf der Liste. An oberster Stelle.« Mit seiner riesigen Hand schob er den Mann ins Zimmer und trat zurück, um mit dem Rücken zur Wand Position zu beziehen, so dass er mit verschränkten Armen zusehen und zuhören konnte.
    Griggs machte einen großen Schritt in die Mitte des Zimmers, blieb dann aber plötzlich stehen. Lucy wies auf einen Stuhl, der so stand, dass sowohl Francis als auch Mr. Evil die Reaktionen des Mannes auf ihre Fragen verfolgen konnten. Er war ein drahtiger, muskulöser Mann in mittlerem Alter mit fortschreitender Glatze, langen Fingern und eingesunkener Brust sowie einem asthmatischen Keuchen, das seine Worte untermalte. Sein Blick schoss verstohlen im Zimmer umher, was entfernt an ein Eichhörnchen erinnerte, das den Kopf hebt, weil es irgendwo in der Ferne eine Gefahr wittert. Ein Eichhörnchen mit vergilbten, schiefen Zähnen und einer Neigung zur Nervosität. Er beäugte Lucy mit einem durchdringenden Blick, entspannte sich dann und streckte mit einem irritierten Gesichtsausdruck die Beine von sich.
    »Was soll ich hier?«, fragte er.
    Lucy reagierte prompt. »Wie Sie wohl wissen, haben sich nach dem Mord an der Lernschwester in diesem Gebäude in den letzten Wochen einige Fragen ergeben. Ich hoffte, Sie könnten etwas Licht in die Sache bringen.« Ihr Ton suggerierte routinierte Sachlichkeit, doch Francis sah an ihrer Körperhaltung und ihrem durchdringenden Blick, mit dem sie den Patienten fixierte, dass es einen Grund dafür gab, weshalb dieser Mann ihre erste Wahl war. Es musste etwas in seiner Akte geben, das sie in angespannte Erwartung versetzte.
    »Ich weiß nix«, antwortete er. Dabei rutschte er auf seinem Stuhl herum und winkte mit der Hand. »Kann ich jetzt gehen?«
    In der Akte, die vor ihr lag, konnte Lucy Worte wie
bipolar
und
Depression
in Verbindung mit
asoziale Neigungen
und
Zornbewältigungsprobleme
sehen. Griggs war, wie ihr schien, ein Bündel von Problemen. Außerdem hatte er in einer Bar eine Frau mit einer Rasierklinge attackiert, nachdem er ihr eine Reihe Drinks spendiert und sich bei seinen eindeutigen Avancen einen Korb eingefangen hatte. Danach war er auf die Polizisten losgegangen, die ihn verhaftet hatten, und wenige Tage nach seiner Einlieferung in die Nervenheilanstalt hatte er Short Blond und mehreren andere Schwestern in der Klinik mit unspezifischen, doch eindeutig drastischen Strafen gedroht, sobald sie ihn zur Einnahme der Medikamente bei der Nachtausgabe zu zwingen versuchten oder den Fernsehsender im Tagesraum wechselten oder ihn daran hindern wollten, andere Patienten zu belästigen, was er beinahe täglich tat. Jeder dieser Vorfälle war ordnungsgemäß in seiner Akte vermerkt. Außerdem war dieser Akte zu entnehmen, dass er seinem Pflichtverteidiger gegenüber behauptet hatte, undefinierbare Stimmen hätten ihn aufgefordert, besagte Frau zu schneiden, eine Aussage, die zu seiner Einweisung ins Western State statt ins örtliche Gefängnis geführt hatte. Ein zusätzlicher Eintrag in Gulptilils Handschrift stellte die Glaubwürdigkeit der Sache infrage. Er war, mit anderen Worten, ein Mann voller Zorn und Lügen, was ihn in Lucys Augen zu einem guten Kandidaten machte.
    Lucy lächelte. »Natürlich«, sagte sie. »Also, in der Mordnacht …«
    Griggs fiel ihr ins Wort. »Hab ich oben geschlafen. Sanft und süß geschlummert. Ganz weggetreten von dem Scheiß, den sie uns geben.«
    Lucy warf schweigend einen Blick auf den gelben Block, bevor sie den Patienten ansah.
    »Sie haben an dem Abend die Medikamente verweigert. Das steht in Ihrer Akte.«
    Er machte den Mund auf und wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. »Wie Sie eigentlich wissen sollten, kommt man, wenn man sagt, man nimmt sie nicht, noch lange nicht damit durch. Das heißt lediglich, dass ein Schlägertyp wie der da« – er wedelte mit der Hand Richtung Big Black, und Francis konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er einen anderen Beinamen gewählt hätte, wenn der bullige Schwarze ihm nicht Angst eingeflößt hätte – »einen zwingt, sie zu nehmen. Also hab ich sie genommen, und ein paar Minuten später hab

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