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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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eine gehörige Rüge würde einstecken müssen. Der drahtige Pfleger ließ sich deshalb keine grauen Haare wachsen, sondern gab das Motto aus: »Besondere Situationen verlangen nach besonderen Lösungen«, eine smarte Devise, die Peter ihm nicht zugetraut hätte. Außerdem wies Little Black darauf hin, dass er der örtliche Gewerkschaftsvertreter sei und sein bulliger Bruder der Gewerkschaftssekretär, was sie für den Fall, dass sie aufflogen, schützte.
    Die Suche an sich war vollkommen fruchtlos verlaufen.
    Es hatte nicht lange gedauert, um die persönlichen Sachen des Patienten durchzugehen, die er in einem nicht verschlossenen Koffer unter seinem Bett aufbewahrte. Peter hatte auch keine Mühe damit gehabt, Bettzeug und Matratze abzutasten, um irgendetwas zu finden, das den Mann mit dem Verbrechen in Verbindung brachte. Ebenso zügig hatte er sich durch den angrenzenden Bereich durchgearbeitet, um auch alle anderen Möglichkeiten zu prüfen, wo so etwas wie ein Messer versteckt sein konnte. Es war ein Leichtes, effiziente Arbeit zu leisten, da es nicht allzu viele Stellen im Umfeld des Mannes gab, die als Versteck infrage kamen.
    Er stand auf und schüttelte den Kopf. Little Black gab ihm stumm Zeichen, sich zu dem verabredeten Treffpunkt mit seinem Bruder zurückzuziehen.
    Peter nickte und machte einen Schritt nach vorn, drehte sich aber plötzlich um und blickte noch einmal prüfend durchs Zimmer.
    Wie immer gab es ein paar Männer, die auf ihren Betten herumlagen und, während sie zur Decke starrten, irgendwelchen Tagträumen nachhingen, über deren Inhalt er höchstens Vermutungen anstellen konnte. Ein alter Mann schaukelte vor und zurück und weinte vor sich hin. Ein zweiter schien gerade einen Witz gehört zu haben, denn er hatte die Arme um seinen Oberkörper geschlungen und kicherte unkontrolliert. Ein anderer, der grobschlächtige Zurückgebliebene, dem er vorher in den Fluren begegnet war, saß am hinteren Ende des Schlafsaals auf seinem Bett und starrte ununterbrochen zu Boden. Einen Moment hob er den Kopf und starrte irgendwo ins Leere, wo er sich ausdruckslos in irgendetwas vertiefte, bis er den Blick wieder senkte. Peter hätte nicht sagen können, ob er in diesem Augenblick verstand, dass sie einen Bereich des Schlafraums durchsuchten. Es war unmöglich zu sagen, wie weit sein Begriffsvermögen reichte. Es konnte natürlich gut sein, dass der Mann in seiner Teilnahmslosigkeit ihre Aktivitäten einfach ignorierte. Doch genauso gut war es, wie Peter erkannte, möglich, dass der Mann irgendwie tief in seinem Innern, trotz der Abstumpfung durch seine Lebensumstände und der täglichen Medikationen, eine Verbindung zwischen dem Mann, der zu der Befragung abgeholt worden war, und der anschließenden Durchsuchung seines Schlafbereichs herstellen konnte. In diesem Fall wusste er nicht, ob diese Verbindung über diesen Raum hinausdringen würde oder nicht. Er fürchtete allerdings, dass es seine Aufgabe deutlich erschweren würde, wenn der Mann, den sie jagten, diesen Zusammenhang begriff. Falls die Leute in der Anstalt erfuhren, dass verschiedene Bereiche gefilzt wurden, dann konnte das nicht ganz ohne Wirkung bleiben. Auf den nächsten Schritt in seinen Schlussfolgerungen verzichtete Peter: Wenn der Engel erfuhr, was Peter da gerade machte, würde er etwas dagegen unternehmen.
    Er blickte noch einmal zu der bunt zusammengewürfelten Gruppe Männer im Raum zurück und fragte sich, ob die Neuigkeit in der Klinik schnell die Runde machen oder nicht aus diesem Schlafsaal herausdringen würde.
    Neben ihm murmelte Little Black: »Also, Peter, ich denke, wir gehen dann mal.«
    Er nickte und ging zusammen mit dem Pfleger zügig zur Tür hinaus.

18
    Noch am selben Tag, vielleicht aber auch erst ein, zwei Tage später, auf jeden Fall aber noch während die endlose Reihe Geisteskranker in Lucys Büro aufmarschierte, wurde mir auf einmal bewusst, dass ich noch nie so richtig ein Teil von etwas gewesen war.
    Als ich darüber nachdachte, stellte ich fest, dass es eine merkwürdige Sache war, aufzuwachsen und nach und nach am Rande mitzubekommen und vielleicht irgendwie zu begreifen, dass um einen herum alle möglichen Beziehungen geknüpft wurden und man selber für immer davon ausgeschlossen war. Für ein Kind ist es etwas Schreckliches, nicht dabei zu sein. Vielleicht das Schlimmste überhaupt.
    Einmal wohnte ich in einer typischen Vorstadtstraße: eine Menge ein-und zweistöckige, weiß gestrichene, gutbürgerliche

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