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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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verändert hatte. Wie lange hatte es gedauert? Drei Minuten? Fünf Minuten insgesamt, von der ersten schrecklichen Wahrnehmung, dass sie jemand packte, bis seine Schritte verhallten?
    Bestimmt nicht länger. Und von da an war nichts mehr so wie vorher gewesen.
    Sie strich mit den Fingerkuppen über die Ränder der Narbe. Sie waren flacher geworden, hatten sich im Lauf der Jahre sogar fast wieder an ihre Hautfarbe angeglichen.
    Sie fragte sich, ob sie je wieder lieben würde. Sie bezweifelte es.
    Es lief nicht einfach darauf hinaus, dass sie wegen der Tat eines Mannes alle Männer hasste. Oder nicht in der Lage war, die Unterschiede zwischen denen, die sie kennen gelernt hatte, und ihrem Peiniger zu sehen. Es war eher so, als wäre etwas in ihrem Innern erloschen und vereist. Sie wusste, dass der Mann, der sie überfallen hatte, die Motivation hinter vielem war, das sie in ihrem Leben unternommen hatte, und dass sie jedes Mal, wenn sie vor Gericht mit dem Finger auf einen bleichen Angeklagten zeigte, scheibchenweise Vergeltung auch für sich selbst übte. Doch sie bezweifelte, dass das Loch in ihr sich je wieder füllen ließ.
    An dieser Stelle wanderten ihre Gedanken zu Peter the Fireman. Zu sehr wie ich, dachte sie. Das deprimierte und beunruhigte sie, weshalb sie nicht richtig würdigen konnte, dass sie beide auf ähnliche Weise beschädigt waren, obwohl sie das eigentlich miteinander verband. Stattdessen stellte sie sich ihn in der Isolierzelle vor. In der Klinik war sie das, was einer Gefängniszelle am nächsten kam, und in mancherlei Hinsicht schlimmer. Sie diente nur dem einzigen Zweck, jeden Gedanken an draußen, der sich dem Patienten aufdrängen mochte, auszuschalten. Graue, mit einer Polsterung bezogene Wände. Das Bett im Boden verankert. Eine dünne Matratze und eine fadenscheinige Decke. Kein Kissen. Keine Schnürsenkel. Kein Gürtel. Eine Toilette mit wenig Wasser darin, damit sich jemand nicht auf solch traurige Weise ertränkte. Sie wusste nicht, ob sie Peter in eine Zwangsjacke stecken würden. Das wäre die Regel, und sie vermutete stark, dass Mr. Evil für die Einhaltung dieser Regel sorgen würde. Einen Moment lang fragte sie sich, wie Peter es überhaupt fertig brachte, bei klarem Verstand zu bleiben, wo er fast gänzlich von Wahnsinn umgeben war. Vermutlich kostete es gewaltige Willenskraft, sich ständig daran zu erinnern, dass man nicht hierher gehörte.
    Das musste qualvoll sein. In dieser Hinsicht, wurde ihr bewusst, waren sie sich noch ähnlicher.
    Lucy holte tief Luft und ermahnte sich, dass sie unbedingt einschlafen musste, denn am Morgen sollte sie ausgeruht sein. Etwas hatte Francis dazu gebracht, den stämmigen Mann zu konfrontieren, und sie wusste nicht, was, vermutete aber, dass es wichtig war. Sie lächelte. Francis war eine größere Hilfe, als sie sich hatte träumen lassen.
    Sie machte die Augen zu, und als sie das eine Dunkel gegen das andere tauschte, hörte sie plötzlich ein seltsames Geräusch, ein vertrautes, aber doch beunruhigendes Geräusch. Sie öffnete die Augen und erkannte, dass es tappende Schritte auf dem Teppichboden des Flurs vor ihrem Zimmer waren. Sie atmete langsam aus und registrierte, dass sich ihr Herzschlag beschleunigt hatte, was, wie sie sich sofort sagte, eine Fehlreaktion war. Schritte waren im Schwesternwohnheim nichts Ungewöhnliches. Schließlich wurde der Bereitschaftsdienst in mehreren Schichten rund um die Uhr geleistet, so dass die Schlafenszeiten im Wohnheim unregelmäßig waren.
    Doch während sie lauschte, glaubte sie zu hören, wie die Schritte vor ihrer Tür Halt machten.
    Sie erstarrte in ihrem Bett und drehte den Kopf in die Richtung des schwachen, doch eindeutigen Geräuschs.
    Sie sagte sich, dass sie sich täuschte, doch dann glaubte sie zu hören, wie der Knauf ihrer Tür sich langsam drehte.
    Lucy drehte sich augenblicklich zum Nachttisch um und schaffte es geräuschvoll, die Nachttischlampe zu ertasten. Das Zimmer war strahlend hell, und sie blinzelte ein paarmal, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Mit fast derselben Bewegung warf sie sich aus dem Bett und stieß, als sie durchs Zimmer lief, gegen einen Abfalleimer aus Metall, der scheppernd über den Boden rutschte. Die Tür hatte einen Riegel, und sie sah, dass er sich nicht bewegt hatte. Sie lief zu der Massivholztür und presste das Ohr daran.
    Sie hörte nichts.
    Sie horchte angestrengt auf irgendetwas Verräterisches; etwas, das ihr sagte, dass jemand da

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