Die Anstalt
krächzte ein paar Worte, obwohl er eben noch befürchtete, es hätte ihm für immer die Sprache verschlagen.
»Er war hier …«, sagte Francis, und es klang wie die letzten Worte eines Sterbenden, nur dass ganz im Gegensatz dazu der bloße Klang seiner Stimme ihm Kraft zu verleihen schien.
»Wer?«, fragte Big Black.
»Der Engel. Er hat mit mir geredet.«
Der Pfleger pendelte einmal zurück und wieder vor.
»Hat er dich verletzt?«
»Nein. Doch, ich bin mir nicht sicher«, sagte Francis. Jedes Wort verlieh ihm mehr Kraft. Er fühlte sich wie ein Mann, dessen Fieber plötzlich fiel.
»Kannst du aufstehen?«, fragte Big Black.
»Ich will’s versuchen«, erwiderte Francis. Indem Big Black ihn stützte und Napoleon ihm die Hände entgegenstreckte, um ihn eventuell aufzufangen, rappelte Francis sich hoch und schwang die Beine über die Bettkante. Sein Kopf fühlte sich einen Moment lang blutleer an, und ihm wurde schwindelig. Dann stand er auf.
»Gut so«, flüsterte Big Black. »Du stehst offenbar unter Schock.«
Francis antwortete nicht. Die Diagnose lag auf der Hand.
»Wird’s wieder, C-Bird?«
»Ich hoffe.«
»Behalten wir die Sache für uns, okay? Sprich mit Miss Jones und Peter, wenn er aus der Zelle kommt.«
Francis nickte. Er merkte, dass der riesige schwarze Pfleger begriff, wie nahe er daran gewesen war, nie wieder aus diesem Bett herauszukommen oder in eines dieser schwarzen Löcher zu stürzen, die von den katatonischen Patienten bevölkert wurden, die auf eine nur für sie existierende Welt starrten. Er machte einen unsicheren Schritt nach vorn, dann einen zweiten und fühlte, wie das Blut seinen Körper durchströmte und wie die Gefahr eines schlimmeren Wahnsinns als dem bereits vorhandenen von ihm abfiel. Er spürte, wie sein Herz und alle anderen Muskeln noch funktionierten. Seine Stimmen jubelten und zeigten sich bei jeder Bewegung höchst befriedigt. Er atmete langsam aus wie ein Mensch, der nur knapp einem herabstürzenden Felsbrocken ausweichen konnte. Dann lächelte er und brachte es schon wieder zu einem Anflug von seinem gewohnten Grinsen.
»Okay«, sagte Francis zu Napoleon und hielt sich immer noch an Big Blacks wuchtigem Unterarm fest. »Ich denke, ich könnte was zu essen vertragen.«
Beide Männer nickten und traten einen Schritt nach vorn. Nur Napoleon blieb stehen.
»Wer ist das?«, fragte er abrupt.
Francis und Big Black drehten sich um und folgten Napoleons Blickrichtung.
Sie sahen es beide im selben Moment. Noch jemand war an diesem Morgen nicht aufgestanden. Nachdem Napoleon alle Aufmerksamkeit auf Francis gelenkt hatte, war er bis dahin niemandem aufgefallen. Der Mann lag reglos da, ein unförmiger Klotz auf einem Metallbett.
»Verflucht noch mal«, sagte der Riese, und es klang, mehr als irgendetwas sonst, verärgert.
Francis lief ein paar Schritte auf ihn zu und sah, wer es war.
»Hey«, sagte Big Black laut, doch es kam keine Reaktion.
Francis holte tief Luft und bahnte sich zwischen den eng nebeneinander stehenden Betten einen Weg durch den Schlafsaal zu dem ausgestreckten Mann.
Es war der Tänzer. Der ältere Mann, der tags zuvor ins Amherst verlegt worden war. Der Bettnachbar des Zurückgebliebenen.
Francis sah auf die starren Glieder des Mannes hinunter. Vorbei mit den fließenden, anmutigen Bewegungen zur Musik, die nur er hören konnte, dachte Francis unwillkürlich.
Das Gesicht des Tänzers war wie gefroren, fast wie Porzellan. Seine Haut war weiß, wie für die Bühne geschminkt, seine Augen weit geöffnet, ebenso sein Mund.
Er sah erstaunt aus, vielleicht auch wie unter Schock oder vom plötzlichen Tod, der ihn diese Nacht heimsuchte, in Panik versetzt.
24
P eter the Fireman saß wie ein junger, ungeduldiger Buddha, der auf die Erleuchtung wartet, mit verschränkten Beinen auf dem Stahlbett in der Isolierzelle. Er hatte in der Nacht wenig geschlafen, auch wenn die Polsterung an den Wänden und der Decke die meisten Geräusche der Station erstickt hatten, bis auf den gelegentlichen schrillen Schrei oder das zusammenhangslose wütende Gebrüll aus einer der anderen Zellen links und rechts von ihm. Diese sporadischen Schreie bedeuteten ihm so viel wie Tierlaute, die nach Einbruch der Dunkelheit durch einen Wald hallen. Irgendwann im Verlauf dieser langen Nacht hatte sich Peter gefragt, ob diese Schreie, die er hörte, real waren oder von längst toten Patienten stammten und wie akustische Signalfeuer in den Äther ausgesandt wurden, um dort in
Weitere Kostenlose Bücher