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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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alle Ewigkeit im Dunkel nachzuhallen, ohne je irgendwo anzukommen. Er fühlte sich wie von Gespenstern verfolgt.
    Als durch das kleine Guckloch in der Tür langsam das Tageslicht in die Zelle sickerte, grübelte Peter darüber nach, in welchem Dilemma er sich befand. Er hegte keinen Zweifel, dass das Angebot des Kardinals aufrichtig gemeint war, auch wenn das die Sache nicht ganz traf, da seine Situation wenig mit Aufrichtigkeit zu tun hatte. Das Angebot lief schlicht darauf hinaus, zu verschwinden, alle greifbaren Aspekte seines Lebens hinter sich zu lassen und in ein neues Dasein abzutauchen. Von da an würden sein Zuhause, seine Familie und seine Vergangenheit nur noch in seiner Erinnerung weiterleben. Hatte er das Angebot erst einmal akzeptiert, gab es kein Zurück. Wer er war und was er getan hatte und die Gründe dafür – das alles sollte im kollektiven Gedächtnis der Erzdiözese Boston getilgt werden, um durch etwas Neues und Strahlendes ersetzt zu werden, dessen glänzende Türme in den Himmel ragten. In seiner eigenen Familie wäre er danach der Bruder, über dessen Todesumstände Stillschweigen gewahrt wurde, oder der Onkel, der fortgegangen war, um nie wiederzukehren, und im Verlauf der Jahre würde seine Familie an den Mythos glauben, an dem die Kirche fleißig mitstrickte, und von dem, was er wirklich gewesen war, würde nicht viel übrig bleiben.
    Er führte sich die Alternativen vor Augen: Gefängnis; MCI Bridgewater; Hochsicherheitstrakt, Einzelhaft und Prügel. Und das wohl so ziemlich für den Rest seines Lebens, weil das beträchtliche Gewicht, mit dem die Erzdiözese im Moment auf die Staatsanwaltschaft Druck ausübte, damit sie ihn nach Oregon ziehen ließ, für den Fall, dass er den Plan ablehnte, in die andere Richtung umschlagen und dann umso schwerer auf ihm lasten würde. Er wusste, dass es keine weiteren Deals geben würde.
    Peter hörte das laute Knallen einer Gefängnistür und das Zischen beim hydraulischen Schließen der Türen. Er musste unwillkürlich lächeln, weil er überlegte, dass diese Vorstellung den Halluzinationen seines Freundes C-Bird ein wenig nahe kam, nur dass diese hier unverkennbar seine war.
    Einen Moment lang musste er an den armen Lanky denken, der in seiner Angst und seiner Wahnvorstellung das letzte bisschen Leben, das die Anstalt ihm zu bieten hatte, schwinden sah und deshalb Peter und Francis um Hilfe angefleht hatte. In dieser Sekunde wünschte er sich, dass Lucy jene Schreie hätte hören können. Es schien ihm, dass ihn sein ganzes Leben lang Menschen um Hilfe gebeten hatten und dass jedes Mal, wenn er versuchte, ihnen beizustehen, egal, wie lauter seine Absichten waren, immer etwas schief gegangen war.
    Peter hörte irgendwelche Geräusche aus dem Flur hinter der verriegelten Tür seiner Isolierzelle und dann das dumpfe Krachen einer anderen Tür, die zuerst geöffnet und dann zugeschlagen wurde. Er konnte das Angebot des Kardinals nicht ausschlagen. Und er konnte Francis und Lucy nicht allein dem Engel aussetzen.
    Er begriff, dass er, egal wie, die Ermittlungen vorantreiben musste, und zwar so schnell wie möglich. Er hatte nicht länger die Zeit auf seiner Seite.
    Peter starrte auf die verschlossene Tür, als erwarte er, dass sie jemand genau in dieser Sekunde öffnete. Doch es war nichts zu hören, nicht einmal aus dem ruhelosen Flur dahinter, also blieb er sitzen und versuchte, seine Ungeduld im Zaum zu halten, indem er sich ins Bewusstsein rief, dass seine jetzige Situation sein ganzes Leben widerspiegelte. Wo auch immer er gewesen war, kam es ihm so vor, als hemmte eine verschlossene Tür seine Bewegungsfreiheit.
    Und während er immer tiefer in eine Schlucht zwischen den Steilwänden aus Widersprüchen stürzte und nicht wusste, ob er je in der Lage sein würde, daran wieder hochzuklettern, wartete er darauf, dass ihn jemand abholte.
     
    »Allem Anschein nach ist ein Verbrechen auszuschließen«, sagte der Chefarzt steif, beinahe offiziell.
    Dr. Gulptilil stand nicht weit von der Leiche des Tänzers entfernt, die immer noch porzellanweiß und todesstarr auf dem Feldbett lag. Er war in Begleitung von Mr. Evil sowie zwei Psychiatern und einem Psychologen von den anderen Wohnheimen. Einer der Männer fungierte, wie Francis erfahren hatte, zugleich als Anstaltspathologe, und dieser beugte sich über den Tänzer und sah ihn sich genau an. Dieser Arzt war schlank und hochgewachsen, mit einer habichtartigen Nase und dicken Brillengläsern sowie der

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