Die Anstalt
starren und dabei nichts als den blanken Terror zu sehen, der an sein Bett gekommen war. Er merkte, wie in seinem Kopf die Emotionen umhertaumelten und, außer Rand und Band geraten, zufällig gegen Seitenwände stolperten, ausrutschten und tobten.
Er war sich nicht mehr sicher, ob er die Fähigkeit besaß, sie einzudämmen und irgendwie wieder in den Griff zu bekommen, und einen Moment lang dachte er, dass er in dieser Nacht tatsächlich gestorben war, dass der Engel ihm tatsächlich wie bei Short Blond die Kehle durchgeschnitten hatte und dass er alles, was er von da an dachte und hörte und sah, nur träumte – eine bloße Einbildung, die in die letzten Sekunden seines Lebens eindrangen und dass in Wahrheit die Welt um ihn her vollkommen dunkel war und die Nacht über ihn hereinbrach und mit jedem Herzschlag sein Blut aus ihm heraussickerte.
»Also, Leute«, hörte er eine Stimme von der Tür. »Dann mal raus aus den Federn. Das Frühstück wartet.« Es war Big Black, der die Schlafsaalbewohner auf die übliche Weise weckte.
Um ihn herum wachten die Leute stöhnend und ächzend auf und ließen all die unruhigen Träume und Albträume hinter sich, die sie geplagt hat, ohne zu ahnen, dass ein realer, atmender Albtraum unter ihnen gewesen war.
Francis blieb starr liegen, als klebte er am Bett. Seine Glieder weigerten sich, seinen Befehlen zu gehorchen.
Ein paar Männer starrten im Vorüberstolpern auf ihn hinab.
Er hörte, wie Napoleon sagte: »Komm schon, Francis, es gibt gleich Frühstück.« Doch als der Mollige den Ausdruck in Francis’ Gesicht wahrnahm, verstummte er mitten im Satz. »Francis?«, fragte er, »C-Bird, fehlt dir was?«
Wieder kämpfte Francis mit sich. In seinem Innern regten sich inzwischen seine Stimmen. Sie flehten, sie bettelten, sie mahnten ihn immer wieder:
Steh auf, Francis! Komm schon, Francis! Hoch mit dir! Stell deine Füße auf den Boden und wach auf! Francis, bitte, steh auf!
Er wusste nicht, ob er die Kraft besaß. Er wusste nicht, ob er je wieder die Kraft besitzen würde.
»C-Bird? Was ist los?« Er hörte, wie Napoleons Stimme zunehmend alarmiert klang, nahezu flehentlich.
Er antwortete nicht, sondern starrte nur weiter an die Decke und glaubte die ganze Zeit immer fester, dass er im Sterben lag. Oder bereits tot war, so dass alles, was er hörte, nur der letzte Widerhall des Lebens war, der seine letzten Herzschläge begleitete.
»Mr. Moses, kommen Sie! Wir brauchen Hilfe!« Napoleon schien plötzlich den Tränen nahe.
Francis merkte, wie er sich plötzlich in zwei entgegengesetzte Richtungen drehte. Eine, die ihn niederwarf, und eine, die ihn unerbittlich in die Höhe trieb. Sie kämpften in seinem Innern.
Big Black war rasch an seiner Seite. Francis hörte, wie er den übrigen Amherst-Bewohnern befahl, in den Flur hinauszugehen. Er beugte sich über Francis, sah ihm tief in die Augen und murmelte ein Feuerwerk an Obszönitäten. »Komm schon, gottverdammt, Francis, steh auf! Was ist los?«
»Helfen Sie ihm«, bettelte Napoleon.
»Versuch ich ja«, antwortete Big Black. Er klatschte dicht vor Francis’ Gesicht einmal kräftig in die Hände, um eine Reaktion auszulösen. Er packte Francis bei der Schulter und schüttelte ihn, doch Francis blieb wie erstarrt auf seinem Bett liegen.
Francis hatte den Eindruck, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte. Er bezweifelte, dass er noch reden konnte. Er hatte das Gefühl, als legte sich eine dünne Eisschicht über sein Innenleben wie über einen winterlichen Teich.
Das Stimmengewirr verdoppelte seine Befehle, bedrängte ihn flehentlich zu reagieren.
Der einzige Gedanke, der durch Francis’ Angst hindurchdrang, war die Vorstellung, dass er, wenn er sich nicht bewegte, ganz gewiss bald tot sein musste, dass der Albtraum wahr würde. Es war, als ob die beiden miteinander verschmolzen wären. So wie Tag und Nacht nicht mehr zu trennen waren, so galt dasselbe für Wachen und Träumen.
Er taumelte erneut am Rand des Bewusstseins: Während ein Teil von ihm drängte, sich vollkommen abzuschotten, den Rückzug anzutreten und sich vor dem Leben in Sicherheit zu bringen, flehte ein anderer ihn an, dem Sirenengesang der leeren, toten Welt nicht zu erliegen, der ihn magisch lockte.
Nicht sterben, Francis!
Zuerst dachte er, das hätte eine seiner vertrauten Stimmen zu ihm gesagt. Doch dann merkte er in dieser Sekunde, dass es von ihm selber kam.
Und so nahm Francis seine ganze Kraft zusammen, die ihm noch geblieben war, und
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