Die Anstalt
Bild war einige Jahre alt und hatte dort, wo es ein paarmal zu oft angefasst worden war, Knicke. Darunter befanden sich einige paar Jeans und ein zweites Paar Schuhe, einige Sporthemden und ein etwas fadenscheiniger dunkelgrüner Pullover.
Das blutige Shirt war nicht da.
Lucy warf Peter einen raschen Blick zu, der seinerseits den Kopf schüttelte.
»Weg«, sagte er ruhig.
Sie drehte sich wieder zu dem Retardierten um. »Danke«, sagte sie. »Sie können Ihre Sachen jetzt wieder wegtun.«
Er machte die Kiste zu und schob sie unter das Bett. Sie gab ihm die Raggedy-Andy-Puppe zurück.
»Haben Sie hier drinnen noch mehr Freunde?«, fragte sie und zeigte auf den Raum.
Er schüttelte den Kopf. »Ganz allein«, sagte er.
»Ich werde Ihre Freundin sein«, sagte sie, was ein Lächeln auf sein Gesicht zauberte, obwohl sie sich der Lüge bewusst war und Schuldgefühle hatte, weil es ihr keineswegs gefiel, einen Menschen zu täuschen, der kaum mehr als ein Kind war, das zwar älter, aber niemals klüger wurde.
Zurück in ihrem Büro, seufzte Lucy. »Also«, sagte sie, »es ist wohl zu viel verlangt, tatsächlich so was wie ein Beweisstück zu finden.«
Sie klang entmutigt, doch Peter war guter Dinge. »Nein, nein, wir haben etwas gelernt. Dass der Engel erst einen Köder legt und sich dann der Mühe unterzieht, ihn wieder zu entfernen, das sagt etwas über seine Persönlichkeit.«
Francis dagegen schwirrte der Kopf. Er fühlte ein leichtes Zittern in den Händen, denn das normale Gebräu aus allen möglichen trüben Strömungen und Gegenströmungen in seinem Kopf hatte sich etwas geklärt. »Nähe«, sagte er.
»Was?«
»Er hat sich den Retardierten aus einem ganz bestimmten Grund herausgesucht. Weil er wusste, dass Lucy ihn befragen würde. Weil er nahe genug war, um ihm ein Beweisstück unterzuschieben. Weil er jemand war, der für ihn keine Bedrohung darstellte. Alles, was der Engel tut, dient einem Zweck.«
»Ich glaube, Sie haben Recht«, sagte Lucy langsam. »Was sagt uns das nämlich, wenn man es richtig bedenkt?«
Peters Stimme klang plötzlich kalt. »Es sagt uns, dass er sich nicht richtig versteckt.«
Francis stöhnte, als schmerzte die Vorstellung wie ein Schlag in die Brust. Er wippte vor und zurück, und Peter und Lucy schielten besorgt zu ihm hinüber. Zum ersten Mal begriff Peter, dass das, was für ihn und Lucy eine Herausforderung an ihre Intelligenz darstellte – den abenteuerlichen Versuch, einen cleveren, entschlossenen Mörder auszutricksen –, für Francis vielleicht ein weitaus schwierigeres und riskanteres Unterfangen war. »Er will, dass wir nach ihm suchen«, sagte Francis, als würden ihm die Worte wie Blut über die Lippen rinnen. »Die ganze Sache bereitet ihm Vergnügen.«
»Nun ja, dann müssen wir eben dem Spiel ein Ende machen«, sagte Peter.
Francis blickte auf. »Wir dürfen nicht tun, was er von uns erwartet, weil er Bescheid weiß. Ich hab keine Ahnung, woher, aber er weiß Bescheid.«
Peter holte tief Luft, und eine Weile dachten alle drei stumm über das nach, was Francis gesagt hatte. Peter hielt den Moment zwar nicht für günstig, wusste aber auch nicht, wann es günstiger sein würde, und jede weitere Verzögerung würde die Sache nur schlimmer machen. »Ich hab nicht mehr viel Zeit«, sagte er ruhig. »Irgendwann in den nächsten Tagen bringen sie mich hier raus. Für immer.«
25
Ich drehte mich auf dem Boden zur Seite und fühlte, wie sich mir die Dielen an die Wange drückten, während ich gegen das Schluchzen ankämpfte, das meinen Körper schüttelte. Mein ganzes Leben lang war ich von einer Einsamkeit in die nächste getrudelt, und allein schon die Erinnerung an den Moment, als Peter the Fireman sagte, er würde mich allein im Western State zurücklassen, stürzte mich in eine solch abgrundtiefe Verzweiflung, dass sie mit der von damals beinahe mithalten konnte. Ich denke, ich hatte von der ersten Sekunde an, als wir uns begegneten, gewusst, dass ich zwangsläufig zurückbleiben würde, aber es war etwas anderes, es aus seinem Mund zu hören, und es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Es gibt Dinge im Leben, die einen zutiefst traurig machen, und das hier war eines davon. Die Worte niederzuschreiben, die Peter an diesem Nachmittag aussprach, ließ all die Verzweiflung wieder aufwallen, die so viele Medikamente und Behandlungspläne und Therapiestunden über die Jahre unterdrückt hatten. Meine Verletzung brach auf, und ich fühlte mich wie mit
Weitere Kostenlose Bücher